Daniel Cil Brecher

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Bürgerrechte, Gruppenidentität und Demokratie in Israel

In Publikationen on Januar 24, 2022 at 12:41 pm

Veröffentlicht in Essay und Diskurs, Deutschlandfunk 05.12.2021

Der politische Charakter des Staates Israel ist schwer zu fassen. „Die einzige Demokratie im Nahen Osten“, „Apartheidstaat“, „Ethnokratie“, „Nationalstaat der Juden“. Diese Floskeln entstammen dem Grabenkrieg des israelisch-palästinensischen Konflikts aber enthalten alle ein Körnchen Wahrheit. Eine in Israel gerne gebrauchte Formel spricht vom Staat als „jüdisch“ und „demokratisch“, zwei Attribute, die sich nach mehrheitlicher Meinung in Israel nicht ausschließen. Die Spannung zwischen dem universalistischen Anspruch von „demokratisch“ und der ethnischen Bestimmung „jüdisch“ ist allerding nicht zu übersehen. 

Die Bestimmung „jüdisch“ ist keineswegs eindeutig aber impliziert „nichtjüdisch“, eine ebenso wenig deutliche Klasse von Menschen und Kulturen. Aus diesen in erster Linie politisch-affektiven Differenzierungen entstand in Israel eine Grundordnung, in der die Zugehörigkeit zu einer Gruppe – jüdisch, palästinensisch, religiös, säkular – institutionalisiert ist. Gruppen unterliegen ihrem eigenen Familienrecht, sind getrennten Schulsystemen zugeordnet und unterscheiden sich im Zugang zur Staatsbürgerschaft und Einwanderung. Neben diesen gesetzlichen Unterscheidungen laufen andere, ebenso folgenschwere Trennlinien durch die Gesellschaft. 

Die Formulierung „jüdisch“ und „demokratisch“ tauchte verfassungsrechtlich 1985 in einer Reihe von neuen Grundgesetzen auf. Sie sollten fast 40 Jahre nach Staatsgründung die bürgerlichen Grundrechte und demokratische Prozeduren neu beschreiben. Die Unabhängigkeitserklärung von 1948, die bis dahin als Richtschnur galt, hatte nicht von Demokratie, sondern nur vom „jüdischen Staat“ gesprochen und den staatlichen Aufgaben, die damit verbunden waren. Darunter befand sich die „jüdische Einwanderung und Einsammlung des Exils“ als zentraler Auftrag. Jüdische Einwanderung im großen Umfang bildete die einzige Garantie für eine zumindest formelle Versöhnung von „jüdisch“ und „demokratisch“. Ohne jüdische Mehrheit kann die Idee vom Staat für Juden auf demokratische Weise nicht gewährleistet werden. Gleichzeitig sicherte die Unabhängigkeitserklärung den nichtjüdischen Bewohnern des Landes „soziale und politische Gleichberechtigung“ und „gleichberechtigte Vertretung in allen staatlichen Organen“ zu. 

Die Unabhängigkeitserklärung bietet einige Einsichten in das entstehende Paradigma vom „Jüdischen Staat“. Die Erklärung erfolgte nicht im Namen der Bewohner des Landes, auch nicht der jüdischen, sondern im Namen des „jüdischen Volkes“. Das jüdische Volk war allerdings nicht befragt worden und wohnte größtenteils anderswo. Zur Zeit der Staatsgründung befanden sich etwas mehr als eine halbe Million Juden im Land, rund 5 Prozent der damals 12 Millionen Juden der Welt. Die nichtjüdischen Bürger, 65 Prozent der Bewohner Palästinas und fast die Hälfte der Bevölkerung im avisierten Staatsgebiet, werden nur einmal erwähnt, als „Mitglieder des arabischen Volkes, die Bewohner des Staates Israels sind“.

Der Text gibt auch die avisierten Gruppenbeziehungen an. Der neue Staat verwirkliche das „Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung“ in „seiner Heimat“. Damit komme dem jüdischen Volk der „Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie“ zu. Die Vorstellungswelt des Zionismus war im Kontext des europäischen Kolonialismus und Nationalismus entstanden. Die Zionistische Bewegung konnte sich auf den kolonialen Mythos der Verfügbarkeit berufen, der Gebiete im Globalen Süden europäischen Besiedlungsprojekten eröffnete. Und sie bezog sich auf europäische Vorstellungen von „Nation“, einer kulturell und ethnisch homogenen Bevölkerung, die Staatlichkeit besitzt oder anstrebt. Juden seien als staatenlose, transnationale Minderheit Opfer ihrer Staatenlosigkeit geworden, analysierte der Zionismus. Das Problem könnten sie nur durch Nationalstaatlichkeit lösen. Diese Ideen einer Kongruenz von Territorium, Volk und Staat nahm die Zionistische Bewegung mit in den Nahen Osten. 

Israel wurde zum Nationalstaat des jüdischen Volkes erklärt, während den nichtjüdischen Bewohnern ein anderer Status zukommen sollte. Als Mitglieder des „arabischen Volkes“ wurden sie als Teil einer transnationalen Ethnizität definiert, die Heimat und nationale Rechte woanders suchen sollten. Wer Araber war, konnte in Palästina beheimatet sein, aber hier keine nationale Heimat besitzen. Die Unabhängigkeitserklärung sicherte den Juden also Rechte als Gruppe zu, den anderen nur als Individuen. 

Das Verlangen nach einem jüdischen Nationalstaat in dieser Umgebung, und gleichzeitig nach Gleichheit und Freiheit aller Bürger, war also nur wenig schlüssig. Die Bevölkerungsmehrheit wurde zwar von Juden gebildet, dem intendierten Staatsvolk. Eine verlässliche Mehrheit von Juden aber war erst kurzfristig durch Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948 entstanden. Der jüdischen Sache zu dienen bedeutete also zuerst Förderung der Einwanderung der einen und Verhinderung der Rückkehr der anderen. Von Gleichheit – selbst für Einzelne – konnte nicht die Rede sein. Gleichzeitig wurden die verbliebenen Palästinenser, die für die jüdische Mehrheit die Gegner des Bürgerkrieges von 1948 darstellten, unter Militärverwaltung gestellt. Ihre vollen demokratischen Rechte blieben bis 1966 suspendiert. Erst danach konnten palästinensische Bürger am demokratischen Leben teilnehmen und damit beginnen, das Versprechen der Unabhängigkeitserklärung auszuloten. 

Das Konstrukt des Staates für Juden schuf eine Reihe von Problemen, bei Fragen der Zuwanderung und Staatsbürgerschaft und beim Grund- und Privateigentum, das sich zum größten Teil in den Händen der Geflüchteten befand. Die Regierungen der Zeit fanden hier „kreative“ Lösungen, die allerdings weder dem Geist der Unabhängigkeitserklärung entsprachen noch, wie sich heute abzeichnet, langfristig politische Legitimität besitzen. 

Die jüdische Bevölkerungsmehrheit sah sich dabei keineswegs als Teil eines kolonialen Siedlerstaates, der langfristig zwischen unter- und übergeordneten Bevölkerungen unterscheiden wollte. Zwar hatte sich die Zionistische Bewegung der Kolonialmacht Großbritannien als Juniorpartner angeboten, aber predigte und lebte gleichzeitig auch politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Das zionistische Ethos hatte sich von Anfang explizit auch auf universalistische, humanistische Werte berufen. Das „Demokratische“ am jüdischen Staat war kein Lippenbekenntnis, sondern ein Versprechen, das aber zuerst einmal nur für die jüdische Bevölkerung galt. Die im Zionismus verwurzelte Ambivalenz, universalistisch und ethnozentrisch zugleich, unterdrückend gegenüber der Ursprungsbevölkerung aber auch emanzipierend, ist einer der Schlüssel zum Verständnis der weiteren Entwicklung.

Die Unterscheidung zwischen den ethnisch-religiösen Gruppen des Landes beeinträchtigte die Rechte einzelner Bürger. Beim Erwerb der Staatsbürgerschaft, der Zuwanderung und Familienzusammenführung unterschieden, und unterscheiden, sich die Rechte von Juden und Nichtjuden radikal. Als Staat aller Juden stehen die Tore Israels jüdischen Einwanderern weit offen. Für die meisten Nichtjuden, und besonders für die 1948 verdrängten palästinensischen Bürger des Landes und ihre Nachkommen, bleiben sie geschlossen.

Das Primat der Gruppenzugehörigkeit kam auch in anderen Bereichen zum Ausdruck. So sah sich die erste Regierung genötigt, gruppenbezogene Regelungen im Personenstandsrecht und in der Schulerziehung einzuführen. Dahinter verbargen sich einerseits kurzfristige politische Interessen. Ben Gurion brauchte 1948 jüdisch-religiöse Parteien für eine Koalition. Andererseits hätte eine für alle Bürger des Landes gültige, universelle Grundordnung, die nicht zwischen Religion und Ethnizität unterschied, auch die Frage nach dem Status der Palästinenser aufgeworfen. 

Personenstandrecht und Schulerziehung sind Rechtsgebiete, die sich stark an religiösen und kulturellen Traditionen orientieren. Von welchen Traditionen, jüdisch, islamisch, christlich, weltlich, sollten Schulerziehung und Lehrplan geprägt werden? Nach wessen Traditionen sollte sich die gesetzliche Regelung von Heirat, Scheidung, Adoption, Unterhalt und Erbfolge richten?

Die nichtjüdische Bevölkerung bestand im Wesentlichen aus Muslimen, Drusen, griechisch-orthodoxen und römisch-katholischen Christen. Juden teilten sich in eine große säkulare Mehrheit, in ultra-orthodoxe Gruppen, darunter die Chassidischen Sekten, die der säkular-nationalistischen Idee des jüdischen Staates feindlich gegenüberstanden; und in so genannte „national-religiöse“ Juden, ebenfalls Teil der orthodoxen Strömung, die den Zionismus bejahten. Diese Strömung inspirierte nach der Eroberung der Westbank und des Gazastreifens die Siedlerbewegung. 

Die gruppenbezogene Regelung von Personenstandsrecht und Schulerziehung schuf einen Flickenteppich an Institutionen. Das Arrangement war eine Fortschreibung des Millet-System des Osmanischen Reiches, zu dem Palästina bis 1918 gehört hatte. Das Millet-System bot einige Vorteile. Die koloniale Macht konnte die untergebene Bevölkerung teilen und beherrschen, die religiösen Gruppen erhielten weitgehende Selbständigkeit und die Chance, ihre eigenen internen Hierarchien und Traditionen mit Hilfe der Staatsmacht zu konservieren. Die britische Kolonialverwaltung hatte das System 1918 übernommen. Jetzt bestanden die jüdisch-religiösen Parteien darauf, dass diese im Ursprung koloniale und einer modernen Demokratie widersprechende Rechtsordnung auch in Israel gelten sollte. Die jüdische Orthodoxie wollte ihre Traditionen und vor allem ihre innerjüdische Vormachtstellung verteidigen, diesmal gegenüber einem jüdischen Staat.

Die Britten hatten für das Familienrecht neben einem sunnitischen Scharia-Familiengericht und einem rabbinischen unter Führung der Orthodoxie neun christliche Gerichte für die verschiedenen Denominationen zugelassen. Der Israelische Staat fügte diesen Elf im Laufe der Jahrzehnte noch drei hinzu. Die jüdisch-religiösen Parteien hatte zudem noch auf der Wahrung des religiösen Status quo in jüdischen Städten bestanden, also Einhaltung der Schabbatruhe im Öffentlichen Verkehr und der Speisegesetze in Gaststätten. Das öffentliche Leben kam so unter den Einfluss der konservativsten religiösen Elemente in der Gesellschaft. 

Neben Israel hatte nur Indien als demokratischer Staat subjektive, ethnische und religiöse Gruppenidentitäten auf diese Weise staatlich festgeschrieben. Auch in Indien ging es um die Dominanz einer Gruppe.

Das gruppenbezogene Familienrecht gab die Regie über existenzielle Fragen in die Hände patriarchalischer Institutionen, die mittelalterlichen Traditionen verpflichtet sind. Die Benachteiligung von Frauen bei Scheidung und Unterhalt und von gleichgeschlechtlichen Partnern war damit zementiert. Der Staat durfte keinen zivilrechtlichen Ausweg bieten. Wer ein Mitglied einer anderen ethnisch-religiösen Gruppe zum Partner wollte, stand vor geschlossenen Türen. Jüdisches Religionsrecht lehnt interreligiöse Ehen ab, und Übertritte sind äußerst zeitraubend. Ähnliches gilt für die meisten christlichen Denominationen. Nur unter der Scharia darf ein Muslim eine Nicht-Muslimin heiraten, die dann durch Heirat Muslima wird. Eine Muslima darf allerdings keinen Nicht-Muslim zum Ehemann nehmen. Interreligiöse Ehen sind in Israel eine seltene Ausnahme. Wer trotzdem interreligiös heiraten will, muss Grenzen im wörtlichen Sinne überschreiten und zum Beispiel nach Zypern fliegen.

Gruppenzugehörig mochte den Bewohnern des Landes als Schicksal erscheinen, die Bevormundung durch den staatlich ermächtigten Klerus aber nicht. Sie führte unter der jüdisch-säkularen Mehrheit zu einem starkem Unwillen gegenüber der religiös-jüdischen Bevölkerung und ihren Parteien. Dies verfestigte wiederum innerjüdische Gruppenidentitäten. Die Abgrenzung zwischen Religiösen und Nichtreligiösen erscheint den Bürgern Israels inzwischen ebenso organisch wie die Abgrenzung zwischen Juden und Palästinensern. Staatspräsident Reuven Rivlin münzte 2015 für dieses kulturelle Schema den Ausdruck der „vier Stämme Israels“: säkular-jüdisch, religiös-zionistisch, ultra-orthodox jüdisch und „Araber Israels“. Rivlin erhob die Palästinenser zum vierten „Stamm“ Israels. Im Geist der Unabhängigkeitserklärung sah er sie allerdings nicht als nationale Gruppe, sondern weiterhin nur als verstreute Reste des „Arabischen Volkes“.

Sozial und geografisch gesehen wohnen, arbeiten und spielen israelische Bürger getrennt. Zwei Gruppen, Palästinenser und Ultra-Orthodoxe, besetzen dabei die politisch-räumliche Peripherie, in eigenen Dörfern, Stadteilen und Städten, die strukturell vernachlässigt und wirtschaftlich schwach sind.

In bestimmten Bereichen, dort, wo höhere Bildung und Einkommen die sozialen und beruflichen Grenzen überwindbar machen, kommen Gruppen zusammen. Diese begrenzte Interaktion findet in den säkularen Städten Tel Aviv und Haifa statt, an den Universitäten und zum Beispiel im Gesundheitswesen, wo palästinensisches Personal, von der Krankenschwester bis zum Oberarzt, gut vertreten ist. Bestimmend für diese gemeinsamen Bereiche von Wohnen und Arbeiten bleibt die Gruppenhierarchie: oben steht der jüdische Mann europäischen Ursprungs, unten die Frau mit Kopftuch. 

Auch das Primar- und Sekundarschulwesen trägt zum starken ethnisch-religiösen Gruppenbewusstsein bei. Kinder, die in Israel aufwachsen, begegnen nur Kindern, Lehrkräften und Eltern ihrer eigenen Gruppe. Im späteren Leben ändert sich daran fast nichts.

Das israelische Schulwesen besteht aus einem öffentlichen und einem privaten Sektor. Der öffentliche Sektor umfasst drei Schultypen: einen weltlichen, einen jüdisch-religiösen und einen „arabischen“, in dem die Unterrichtssprache arabisch ist. Alle öffentlichen Schulen folgen einem einheitlichen nationalen Grundlehrplan, der in jüdisch-religiösen Schulen mit Unterricht nach orthodoxer Auffassung angereichert wird, in Schulen für Palästinenser mit gesamtarabischer Geschichte, Kultur und Religion. Die jüdisch-ultra-orthodoxen Schulen sind im privaten Sektor untergebracht, der nicht unter Kontrolle des Bildungsministerium steht. Der nationale Grundlehrplan gilt hier nicht. Der Unterricht findet nach Geschlechtern getrennt statt. Diese Schulen widmen weltlicher Bildung, Fremdsprachen, Naturwissenschaft und Mathematik nur sehr geringen Raum. 

In allen staatlichen Schulen, auch in den arabischsprachigen, wird die Geschichte Israels, Landes- und Gemeinschaftskunde aus Sicht des zionistischen Narrativs unterrichtet. Der Lehrstoff soll die „Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Land Israel“ fördern, wie das Bildungsministerium betont. Trotz der Tatsache, dass es auch im arabischsprachigen Bildungssystem angewandt wird, enthält das Programm keine Inhalte, die sich auf die palästinensische Geschichte des Landes und die Nakba beziehen. Im Unterricht zum „Religiösen Erbe“ wird an arabischsprachigen Schulen Material zum Islam, Christentum und der Drusischen Religion angeboten, in hebräisch-sprachigen aber nicht. 

Der Staat Israel hat sich mit der Institutionalisierung von Gruppenunterschieden ein ausgeklügeltes aber sehr anfälliges System der Marginalsierungen und Privilegierungen geschaffen. Das System basiert auf den Kräfteverhältnissen von 1948. Seitdem haben vor allem die beiden marginalisierten Gruppen, Palästinenser und Ultra-Orthodoxe, ihren Anteil an der Bevölkerung mehr als verdoppelt. Sie machen inzwischen zusammen rund 40 Prozent der Bevölkerung aus. Mit Hilfe eigener politischer Parteien versuchen sie ihre Position zu verbessern – mit einigem Erfolg. 

Das israelische Verhältniswahlrecht mit niedriger Sperrklausel setzt das Gruppenschema ins Kleinste um. Es begünstigt dabei allerdings das säkular-zionistische Lager, das in große, etwa gleich starke links- und rechtszionistische Blöcke geteilt ist. Koalitionen beruhen meist auf 6-8 Parteien unter Führung von einem der beiden Blöcke und verfügen nur über sehr knappe Mehrheiten. Palästinensische und ultra-orthodoxe Parteien werden dabei doppelt benachteiligt. Mit Mehrheitswahlrecht könnten sie in ihren kulturell homogenen Gebieten mehr Sitze erlangen. Zusätzlich erhalten sie beim Wahlgang die Quittung für ihre Staatsferne. Eine deutlich geringere Wahlbeteiligung in ihren Sektoren kostet sie jeweils rund fünf Sitze.

Die politischen Ziele der ultra-orthodoxen Parteien beschränken sich auf den eigenen Sektor: Wahrung und Förderung eines völlig separaten religiösen und gesellschaftlichen Lebens und eines eigenen Schulsystems. Sie binden etwa 15% der Wähler an sich und haben sich mehrmals an rechts-zionistischen Koalitionen beteiligt. Sie engagieren sich kaum bei Fragen, die über die direkten Belange der ultra-orthodoxen Enklaven hinausgehen. So hat ihr Separatismus, auch ohne ideologische Präferenzen, unter anderem die Ausweitung der Besatzung und Blockade der Zwei-Staaten-Lösung möglich gemacht.

Im palästinensischen Sektor, 20% der Bevölkerung, erhalten palästinensische Parteien regelmäßig rund 13% der Wählerstimmen. Nur eine der vier heute in der Knesseth vertretenen Parteien, die „Vereinigte Arabische Liste“, vertritt dabei eine den Ultra-Orthodoxen vergleichbare Politik des Separatismus. Dieser Separatismus schließt Regierungsteilnahme ausdrücklich ein, allerdings mit Zielen, die auf den eigenen Sektor beschränkt sind. 

Die Vereinigte Arabische Liste ist seit Juni 2021 Teil einer israelischen Regierungskoalition. Nur einmal haben palästinensische Parteien davor eine jüdisch-zionistische Regierung unterstützt – durch parlamentarische Rückendeckung für die Minderheitsregierung unter Yitzchak Rabin, die 1992 den Friedensprozess mit der PLO einleitete.

Die Vereinigte Arabische Liste ist sozial konservativ und propagiert das Primat des Islam in Familie und Gesellschaft. Schon bei ihrer Gründung 1996 sprach sie sich für Teilnahme an Regierungen mit jüdischen Parteien aus und stimmte für die Oslo-Verträge und die Zwei-Staaten-Lösung. Im Gegensatz zu den anderen palästinensischen Parteien verfolgt sie eine Politik sektoraler aber nicht nationaler Rechte. Die politische Haltung der Vereinigten Arabischen Liste passt in die Rolle, die innerhalb des Gruppen-Paradigmas marginalisierten Parteien zugeordnet wird. So begründete sie ihre Regierungsbeteiligung mit dem Wunsch, die Lebensverhältnisse der palästinensischen Minderheit zu verbessern, ungeachtet anderer Ziele der Koalition. Ein Beschluss der Regierung Bennet, bestimmte Siedlungen in den besetzen Gebieten auszubauen, wurde schweigend hingenommen. Ihre Beteiligung an der Regierung Bennet durchbrach allerdings auch das Tabu der Regierungsbeteiligung von Palästinensern.

Kurz nach der Installierung der Regierung Bennet im Juni 2021 kritisierte der palästinensische Politologe Ameer Fakhoury, dass die Vereinigte Arabische Liste ein palästinensisches „Stetl“ in Israel errichten wolle. Palästinenser fügten sich damit, schrieb er, der Logik der vier Stämme und geständen ein, dass sie mit anderen Israelis nichts Gemeinsames hätten. Für Palästinenser bedeute dies einen einseitigen Verzicht auf das Prinzip der Staatsbürgerschaft.

Die politischen Ziele der anderen Parteien haben sich von einem Kampf um individuelle Rechte von palästinensischen Bürgern über kollektive Rechte hin zur Forderung eines nationalen Status entwickelt. Diese seit mehr als zwanzig Jahren im palästinensischen Sektor dominante Strömung fordert die politische und rechtliche Umsetzung der bi-nationalen Realität des Landes und die Transformation Israels vom „Staat der Juden“ zum „Staat aller Bürger“. 

Auch der israelische Staatspräsident Rivlin sprach in einer Grundsatzrede 2015 die Probleme der institutionalisierten Gruppenidentitäten an. Sie ist in Israel als die „Vier-Stämme-Rede“ bekannt. Rivlin wies auf die wachsende Unregierbarkeit des Landes und die Behinderung wirtschaftlichen Wachstums. Sein Hauptargument aber war von einer anderen Qualität: die zionistisch-säkulare Mehrheit des Landes beginne ihre Mehrheit zu verlieren, sagte er, und damit die Kontrolle über das System. 1992 hätten noch 52% der Schulanfänger das staatlich-säkulare Schulsystem besucht. 2018 würden es nur noch 38% sein. 25% würden dann arabischsprachige Schulen besuchen, und 22% ultra-orthodoxe. 

Das alte Bild von der zionistisch-säkularen Bevölkerung, die das kulturelle und politische Zentrum Israels bilde, sei nicht mehr gültig. Eine neue Ordnung sei im Entstehen. Die Stämme, sagte er, müssten zu einem neuen Konzept der Partnerschaft übergehen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Rivlin erkannte die kulturellen Eigenheiten der „Stämme“ ausdrücklich als wertvoll an und forderte, dass der Staat diese kulturellen Unterschiede schützen müsse. Jede Gruppe müsse wissen, dass ihre Identität nicht bedroht sei. 

Seine Vorschläge legten eine Verschiebung in der ideologischen Landschaft bloß. Hier formulierte ein Rechts-Zionist Vorschläge, die dreißig Jahre davor aus dem Mund eines linken Zionisten gekommen wären. Die links-zionistischen Parteien haben sich inzwischen in Richtung eines post-zionistischen Realismus bewegt – einer teilweisen Anerkennung palästinischer Anliegen und dem Willen, die Besatzung zu beenden. 

Die zionistische Rechte hält dagegen weiter am Model des jüdischen Nationalstaats fest, an den gegensätzlichen Zielen von Gleichheit und ethnischer Dominanz, und an der angestrebten Kongruenz von Territorium, Volk und Staat. Diese Idee hat mit der Besiedlung der Westbank durch jüdische Israelis eine Sackgasse erreicht. Mit sieben Millionen Juden und sieben Millionen Palästinensern in „Groß-Israel“, also dem gesamten ehemaligen Mandatsgebiet, war kein jüdischer und gleichzeitig demokratischer Staat mehr zu machen.

Parallel zu Rivlins Initiative propagierten rechtszionistische Politiker ein anderes Mittel, um eine zukünftige Kollision von „jüdisch“ und „demokratisch“ abzuwenden: das Nationalstaatgesetz. Dieses Gesetz, zuerst 2011 als Zusatz zu den israelischen Grundgesetzen eingebracht, wurde 2018 mit einer Mehrheit von zwei Stimmen verabschiedet. Hier wird zum ersten Mal in einem Gesetz explizit vom Staat Israel alsNationalstaat des jüdischen Volkes gesprochen und von Israel als dem Ort, an dem es exklusiv nationale, kulturelle und religiöse Selbstbestimmung ausübe.

Das Gesetz rief in Israel und in der internationalen Gemeinschaft viel Kritik hervor. Die Opposition ließ die Verfassungsmäßigkeit prüfen. Im Juli 2021 entschied der Oberste Gerichtshof, dass das Gesetz den demokratischen Charakter des Staates und das Prinzip der Gleichheit nicht negiere. Die Präsidentin des Gerichtshofs erklärte, dass es nur das Offensichtliche deklariere: dass Israel ein jüdischer Staat sei.

Hinter Rivlins Rede und dem Nationalstaatgesetz verbirgt sich das alte Wunschbild von Israels als Bollwerk demokratisch-universeller Werte und gleichzeitig als Förderer und Verteidiger des jüdischen Ethnos. Rivlin sprach zwar von der Suche nach einer neuen, gemeinsamen bürgerlichen Identität, aber unter einer spezifischen Prämisse. Der Staat müsste zionistisch definiert bleiben. 

Der rein deklarative Charakter des Nationalstaatgesetzes und die Tatsache, dass es mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen verabschiedet wurde, lässt allerdings keinen Zweifel darüber, wie prekär das Verhältnis von „jüdisch“ und „demokratisch“ ist. Sollte die heutige Konstruktion des „Nationalstaates der Juden“ eines Tages die Mehrheit verlieren, könnte Israel ohne weiteres auf das „Demokratische“ zurückfallen.

Eine Partnerschaft mit einer palästinensischen Partei war neu, aber was bedeutete sie? Koalitionen mit den Ultra-Orthodoxen hatten bislang den Rang eines ungeliebten Zweckbündnisses – eines notwendigen Übels, bei dem die Minderheit finanzielle Unterstützung für ihre peripheren Ziele erhielt im Tausch für ihre Stimmen. 

Aus der Perspektive der zionistischen Mitte leben Palästinenser und Ultra-Orthodoxe in einem selbstgewählten Randdasein. Sie gelten als „un-israelisch“. Dieser Diskurs hat sich im Laufe der letzten Jahre verstärkt. Den Gruppen werden dabei Eigenschaften zugeordnet, die ihnen das Recht auf volle staatsbürgerliche Beteiligung quasi von selbst nehmen. Wie der israelische Soziologe Baruch Kimmerling vor zwanzig Jahren zeigte, entstand die neue israelische Identität direkt aus der Ablehnung dieser Kulturen – dem „dekadenten“ und schwächlichen Diasporajudentum und dem orientalisierten, zivilisatorisch unterlegenen „Araber“.

Die Kritik am ultra-orthodoxen Sektor richtet sich gegen das „Ghettohaftige“, das Festhalten an anti-modernen Traditionen, die Trennung der Lebenswelten von Männern und Frauen und den Verzicht auf säkulare Bildung. Besonders umstritten ist die Befreiung ultra-orthodoxer Männer vom Militärdienst. Ultra-orthodoxe Männer sind in den Augen der Mehrheit unpatriotisch, „unproduktiv“, dekadent und „schmarotzerhaft“. Ihre Haltung wird als kollektive Weigerung verstanden, sich mit dem Staat zu verbinden und seine Existenz zu sichern.

Die Vorstellungen über die Palästinensische Peripherie zeigen ein ähnliches Muster. Neben einem deutlichen Respektgefälle und starken kulturellen Vorurteilen werden palästinensische Politiker regelmäßig als „Terroristen“ bezeichnet oder als Unterstützer von „Hamas-Mördern“. Politiker der Linken, die in Wahlkämpfen eine mögliche Koalition mit palästinensischen Parteien nicht von vornherein explizit ausschließen, riskieren Wählerstimmen.

Die Dämonisierung palästinensischer Parteien ist auf dem Hintergrund ihrer Wahlerfolge zu einer politischen Waffe ersten Ranges geworden. Naheliegende Partnerschaften zwischen jüdischen und palästinensischen Parteien bei der Liberalisierung der Gesellschaft und der Schaffung einer permanenten Lösung für die besetzten Gebiete ließen sich so bislang nicht verwirklichen. Dieses Tabu konnte nur von einer rechten Partei durchbrochen werden. Im Anlauf zu den Wahlen im März 2021 war es dann die Likud-Partei Benjamin Netanjahus, die um ihr Überleben kämpfte und sich offen um die Unterstützung durch die Vereinigte Arabische Liste bemühte. 

Die Probleme der Randgruppen werden in der Mitte der Gesellschaft hauptsächlich als Defizite aufgefasst, die durch die Eigenheiten der Kultur hervorgerufen und nur durch kulturelle Anpassung verändert werden können. Ein Beispiel ist die hohe Zahl von Tötungsdelikten in der palästinensischen Gesellschaft. Rund 70% aller Morde in Israel entfallen auf diesen Sektor. Der Diskurs über Ursachen und mögliche Lösungen zeigt deutlich den Einfluss des israelischen Gruppen-Paradigmas. Auf Seiten der Regierung und der israelischen Polizei wird auf die Schwierigkeiten bei der Aufklärung gewiesen. Die palästinensische Gesellschaft sei geschlossen, und es herrsche eine Kultur des Schweigens. Auf palästinensischer Seite und von Kriminologen wird eine andere Geschichte erzählt. Die Polizei habe sich 2001, nach blutigen Zusammenstößen während der zweiten Intifada, aus den palästinensischen Ortschaften zurückgezogen. Seitdem werde nicht mehr in diese Gebiete investiert, weder in die akute Verbrechensbekämpfung noch in die vorbeugende. Das Problem sei eine unkontrolliert wachsende Bandenkriminalität, und nicht die „Mentalität“ der Bewohner. 

Bei Problemen in ultra-orthodoxen Gemeinschaften finden wir ein ähnliches diskursives Muster. Im Sektor herrscht große Armut. In der breiten Öffentlichkeit werden mangelnde Schulbildung, religiöser Lebensstil und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Ursachen gesehen. Mögliche Lösungen, zum Beispiel die Einführung des nationalen Lehrplans auf ultra-orthodoxen Schulen, gelten allerdings nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch hier wird der einzelne Bürger vom Staat im Stich gelassen. 

Die Institutionalisierung von Gruppenidentitäten war von Anfang an mit dem Paradigma vom „Jüdischen Staat“ verbunden. Der Staat sollte mit staatlichen Mitteln den jüdischen Charakter des Landes garantieren, durch Privilegierung von Juden und die Abdrängung von anderen. Ist das heute noch nötig?  Durch Einwanderung von mehr als drei Millionen Juden und der Schaffung einer jüdischen Mehrheit von 75% scheint mir die kulturelle und politische Dominanz dieser Gruppe gesichert, zumindest in Israel selbst. Die Besiedlung der besetzten Gebiete und die Entschlossenheit der zionistischen Rechten, die Gebiete zu behalten, stellen die Frage allerdings neu. 

Auch generationelle Unterschiede fordern das System heraus. Unter jungen Israelis, Juden wie Palästinensern, herrscht ein zunehmender Individualismus. Sie wollen in einer modernen, liberalen Gesellschaft ohne Gruppenzwänge leben. Aber auch auf ihre Eltern ist längst nicht mehr Verlass. So haben bei den Wahlen der letzten Jahre jüdische Israelis zum ersten Mal in großen Zahlen palästinensische Parteien gewählt. Neue politische Allianzen von Juden und Palästinensern scheinen jetzt zum ersten Mal in Reichweite. 

Wie können die Bürger Israels zu einer gemeinsamen staatsbürgerlichen Identität gelangen? Die Frage der besetzen Gebiete spielt hier eine große Rolle. Auf welches Israel soll sich das Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung für Staat und Gesellschaft beziehen? Auf ein demokratisches Land, dessen grundlegende Politik und Grenzen auf einem breiten Konsens beruhen? Oder auf einen Staat, der viele Schattierungen von institutionalisierter Ungleichheit in Stand hält? Ohne Konsens in diesen Fragen ist eine Zusammenarbeit der „Stämme“ zum Wohle der gesamten Gesellschaft kaum möglich.

Welche Stellung sollte den Gruppen in Zukunft zukommen? Jede Gruppe müsse wissen, sagte Präsident Rivlin, dass ihre Identität nicht bedroht sei. Er meinte damit die Randgruppen. Aber das Problem scheint mir eher bei der Identität der Mehrheit zu liegen. Die jüdische Bevölkerung hat sich lange auf staatliche Garantien für ihre Vormachtstellung verlassen. Die nicht-jüdische und nicht-zionistische Bevölkerung hat längst ihren Frieden mit dem Leben im „jüdischen Staat“ gemacht. Im Weg steht nicht mehr die Dominanz einer Gruppe, sondern die Institutionalisierung dieser Dominanz. Sie bildet die eigentliche Hürde zu einer völligen Demokratisierung Israels.

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Zwischen Stigma und Identität. Antisemitismus, Israel und die Juden in Deutschland.

In Publikationen on August 18, 2020 at 10:39 am

in: Wolfgang Benz (Hrsg.) Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen. Berlin (Metropol Verlag) 2020, S.33-60

Wer dieser Tage in Israel Fernsehen oder Radio einschaltet, wird den Werbespot „Spür die Kraft“ bemerkt haben. Ein deutscher Automobilhersteller preist damit seine neusten Modelle für den täglichen Überlebenskampf im israelischen Straßenverkehr an. Die Werbung, die von „strengen deutschen Standards“ und von „120 Jahren kompromissloser deutscher Qualität“ spricht, endet im Slogan „Geboren in Deutschland!“.(1) Vor einigen Jahrzehnten hätte „deutsch“ in Israel noch ganz andere Assoziationen hervorgerufen. Auch in vielen anderen Ländern lässt sich ein ähnlicher Wandel verzeichnen. Das allmähliche Verblassen des Stigmas „deutsch“ wurde von einem Projekt begleitet, das wir als „Vergangenheitsbewältigung“ kennen. Diese bundesrepublikanische Auseinandersetzung von Staat und Zivilgesellschaft mit Nationalsozialismus und Holocaust gilt inzwischen als internationaler Qualitätsstandard für die kollektive Beschäftigung mit staatlichen Verbrechen.

Bereits vor dreißig Jahren verglich der Niederländer Ian Buruma die Vergangenheitsbewältigung Japans mit den deutschen Bemühungen und kam zu wenig schmeichelhaften Schlussfolgerungen für den Staat im Pazifik. In der Bundesrepublik traf Buruma 1991 auf Menschen, die intensiv mit den schwierigen Fragen von Politik und kollektiver Verantwortung rangen. Buruma bewunderte das politische Engagement der Zivilgesellschaft und meinte selbst eine religiöse Komponente in der „Betroffenheit“ zu entdecken, die weit über politische Zwecke hinauszugehen schien.(2) 2019 machte die in Berlin wohnende US-Amerikanerin Susan Neiman vergleichbare Beobachtungen und kam zu ähnlichen Ergebnissen. Sie verglich die US-amerikanische Anstrengungen, sich mit Sklaverei und der langen, immer noch virulenten Geschichte des Rassismus auseinanderzusetzen, mit denen der Bundesrepublik und empfahl ihren amerikanischen Landsleuten, von den Deutschen zu lernen.(3)

Mit dem Projekt der Vergangenheitsbewältigung entstand in der Bundesrepublik auch ein Gespräch über Juden, Israel und Antisemitismus, das den Wunsch nach einer Überwindung des Stigmas „deutsch“ wiedergab. Dabei entwickelten sich Wunschbilder von Juden und vom jüdischen Staat, die spezifisch deutsche Züge trugen und das Gespräch in der Bundesrepublik bis heute beeinflussen. Diese „Hinwendung“ zu Israel und zu Juden wurde zu einem wichtigen Element der neuen politischen Identität der Bundesrepublik und ihrer Eliten, und zum Symbol der West- Orientierung und des erfolgreichen Wandels zu Demokratie, Toleranz und Liberalismus.

Einigen Elementen dieses Gesprächs will ich Folgenden nachgegen. Zuallererst sind da die Konstruktionen von „deutsch“ und „jüdisch“, die als eine der auffallendsten Konstanten auch nach 1945 das Gespräch weiter bestimmten. Diese Unterscheidung von „Deutscher“ und „Jude“ entsprach Ideen des 19. Jahrhunderts über Nation und Volk, tradierte die politische und soziale Funktion von „Jude“ und damit auch die Ideen über positive und negative Eigenschaften, die Juden zugeschrieben werden. Nach 1945 wurde dieses traditionelle Bild durch die Tabuisierung des Antisemitismus hauptsächlich durch das “Othering” des Philosemitismus, durch Idealisierungen und die ostentative Zuwendung zu Juden und Israel aufrechterhalten. Dieses für das Gespräch über Juden, Israel und Antisemitismus auch heute noch wichtige Element enthält eine Botschaft, die auch der Antisemitismus verbreitet: Juden sind anders, Juden sind nicht “wir”. Ein wichtiger Faktor: Auch auf jüdischer und israelischer Seite wurden die Idealisierungen begrüßt und besonders das Wunschbild von Israel hartnäckig verteidigt. Diese besondere Positionierung von Israel und Juden in der Bundesrepublik als „Juden“ (Brian Klug 4) und die Wiederbelebung jüdischer Alterität im Prozess der Vergangenheitsbewältigung hatten große Folgen.

Durch die Hinwendung der Bundesrepublik zu Israel und die Resonanz der Vergangenheitsbewältigung in Israel entstanden bemerkenswerte geschichtspolitische Konvergenzen und komplementäre Verständnisse von Staatsraison. In der Bundesrepublik wie Israel trugen geschichtspolitische Aufträge, die sich aus dem Holocaust herleiten, zur Legitimierung von Politik und besonders zur Rechtfertigung des israelischen Exzeptionalismus bei. Dieser Exzeptionalismus stellt eine spezifisch israelische „Vergangenheitsbewältigung“ dar und stößt wegen der gemeinsamen kollektiven Identitätskonstruktionen gerade in der Bundesrepublik auf Zustimmung. Die Partnerschaft schuf allerdings auch manche Spannungen bei der reziproken geschichtspolitischen Imagepflege.

Ein weiteres Element ist das Gespräch über Antisemitismus unter Juden in Deutschland und die Wirkungen des israelischen Antisemitismus-Narrativs. In den letzten 20 Jahren haben sich sowohl in der Bundesrepublik wie in Israel die Verständnisse von Antisemitismus stark ausgeweitet und radikalisiert. Antisemitismus wird nicht mehr allein als eine Bedrohung der Juden in der Diaspora verstanden, sondern als eine Gefahr für Israel. Dort hat sich das Antisemitismus-Narrativ inzwischen zu einem umfassenden Feindbild entwickelt, das u.a. jüdische Kritiker israelischer Politik und Protagonisten liberaler Ideen von Staat und Gesellschaft einschließt. Diese Israelisierung des Antisemitismus-Verständnisses hat die Wahrnehmungen unter Juden in der Diaspora nicht nur stark beeinflusst, sondern auch das gesellschaftliche Gespräch über Antisemitismus erheblich erschwert.

1. Juden als die „Anderen“.
Eine der Eigenheiten des modernen, bundesdeutschen Gesprächs über Juden und Antisemitismus ist das Fortleben eines traditionellen Verständnisses von „deutsch“ und „jüdisch“ als separate ethnische und kulturelle Identitäten. Diese Abgrenzung schöpft aus einem Katalog von nationalistischen und rassistischen Ideen des 19. und 20. Jahrhunderts, in denen Juden als ontologisch „anders“ erscheinen, als ewig fremd und „zersetzend“, aber auch als eine Gruppe, die eine „Achtung gebietende Kraft“ besitzt und Bewunderung verdient.(5) Diese Vorstellung von „Juden“ zögerte im 19. Jahrhundert die rechtliche Gleichstellung von Juden heraus, verlieh einer lautstarken antisemitischen Opposition Legitimität, die gegen die Aufnahme von Juden in das “deutsche Volk“ agitierte, und schuf den bleibenden Mythos der kulturellen Unvereinbarkeit und Fremdheit. In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft bildeten diese Traditionen die ideologische Grundlage für die Vernichtung des europäischen Judentums. Nachdem die Rolle des „Jüdischen“ in der Definition des „Deutschen“ generationenlang Identität und Kontinuität gestiftet hatte, blieb sie offenbar auch in den Krisen der Nachkriegszeit weiter wichtig. Der Neubeginn von 1945 hatte in dieser Hinsicht nur den Effekt, diese Haltungen und Gefühle in den Untergrund zu treiben. Politiker sprachen nun von „jüdischen Menschen“ und hofften, die negative Konnotation von „Jude“ und das völkische Denken, das dahinterstand, zu überdecken. Wer “Jude“ war, konnte auch weiterhin kein “Deutscher“ sein und umgekehrt. Das alte Gegensatzpaar wurde gleichzeitig durch eine neue, zusätzliche Bedeutung von “Opfer“ und “Täter“ in eine politisch korrekte Form gebracht, die jüdischer Alterität neue Legitimität und ein neues Leben verlieh.

Bei der Feierstunde einer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sprach Bundespräsident Theodor Heuss Ende 1949 von der „suggestiven Wiederholung“, die es unmöglich mache, das Wort „Jude“ auszusprechen. Das Wort wurde durch den adjektivischen Gebrauch umgangen, zum Beispiel in Zusammenhang mit „Mitbürger“. Die traditionelle Vorstellung von „Jude“ trat in der Öffentlichkeit nur noch in Form philosemitischer Umkehrungen zum Vorschein. Der Heidelberger Dekan Hermann Maas, der als Mitglied des Pfarrernotbunds und der Bekennenden Kirche vom NS-Staat 1944 in ein Arbeitslager nach Frankreich deportiert worden war, schrieb: „Jüdischer Mensch sein bedeutet ein Leid tragen, das [von Christen] mitgelitten werden muss.“ Hermann Maas war der erste deutsche Kirchenvertreter, der 1949 auf Einladung Jerusalems Israel besuchte. Er schrieb 1952 vom „jüdischen Menschen als Mysterium“, der durch das „geheimnisvolle, unauslöschliche Leid“ zu einer „besonderen Geistigkeit“, einem „feinsinnigen Menschentum“ und zu einem „tiefen Empfinden für Gerechtigkeit, Güte, Gastfreundschaft und Milde“ gelangt sei.(6)

Von jüdischer Seite wurden diese realitätsfernen philosemitischen Konstruktionen zu einem gewissen Grad erwidert. Der in Düsseldorf ansässige Landesrabbiner Robert Geiss drückte das in den Fünfzigerjahren bei der Einweihung eines Gedenksteins für Naziopfer auf dem jüdischen Friedhof so aus: „[Hitler] nahm uns sehr ernst, wahrlich blutig ernst, ernster als wir uns selbst nehmen wollten. […] Der Jude, das war für ihn der Mensch, aus dem in jedem Augenblick die Visionen der Propheten wieder auferstehen konnten, […] der Mensch, der nicht müde wurde, an eine Welt der Gerechtigkeit und des Völkerfriedens zu glauben.“ Geiss schloss mit der Feststellung: „Als Geschöpfe und Bekenner Gottes mussten wir der Staatsfeind des Dritten Reiches sein, und in all unserem Leid sagen wir noch heute „ja“ dazu“. (7)

Der Sozialdemokrat Ludwig Rosenberg, der spätere Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, von den Nazis als Gewerkschaftler und Jude verfolgt, schrieb 1957 ähnliches: „Es war das Schicksal der Juden, stellvertretend für alles Menschliche, die besondere Zielscheibe des Hasses der Unmenschen zu werden. In den brennenden Synagogen traf man nicht allein die Bethäuser einer Glaubensgemeinschaft, sondern den Glauben an ewige Werte schlechthin.“ (8)

Dieser Mythos von Juden als Vertreter der „ewigen Werte“ und als „Staatsfeinde“ des Bösen war wegen der entmenschlichenden Hetze im Nationalsozialismus nicht unwillkommen. Er enthielt allerdings auch eine äußerst problematische Botschaft: dass Antisemitismus doch eine Reaktion auf besondere Merkmale des „Juden“ darstellte, angebliche Eigenheiten, die Juden „letztendlich selbst für ihr Schicksal verantwortlich machten“.(9) Zusammen mit der Idee von Juden als wertvollen Kulturträgern begannen diese Vorstellungen neue, unpersönliche und realitätsferne Abstraktionen von „Jude“ zu formen, die die Bekämpfung des Antisemitismus subtil unterminierten. Die Politologin Eleonore Sterling schuf Mitte der Sechzigerjahre für diese Figuration den Ausdruck „philosemitische Idole“, die das Fremdartige und Anders-Sein der Juden unterstrichen.(10) In einer kritischen Analyse der „Aufarbeitung“ hatte Theodor Adorno bereits 1959 gewarnt: “Lobreden auf die Juden, welche diese als Gruppe absondern, geben selber dem Antisemitismus allzuviel vor.“ Auch die „Hinwendung“ zu Juden und Israel gehe von fragwürdigen Annahmen aus: “Ich glaube auch nicht, daß durch Gemeinschaftstreffen, Begegnungen zwischen jungen Deutschen und jungen Israelis und andere Freundschaftsveranstaltungen allzu viel geschafft wird, so wünschbar solcher Kontakt auch bleibt. Man geht dabei allzu sehr von der Voraussetzung aus, der Antisemitismus habe etwas Wesentliches mit den Juden zu tun und könne durch konkrete Erfahrungen mit Juden bekämpft werden ”.(11)

Dass Philosemitismus kein harmloses Phänomen ist, zeigen die Erfahrungen der Fußballklubs Tottenham Hotspur und Ajax Amsterdam. Die Fan-Clubs der Vereine entwickelten in den Siebzigerjahren einen Fahnen schwingenden Philosemitismus, eingegeben von der Bewunderung für Israels militärische Erfolge, und dichteten den Clubs, und sich selbst, eine Identität als „Super-Jude“ an. Jüdische Organisationen und israelische Medien reagierten positiv, zumindest solange israelische Fahnen geschwungen wurden. Erst mit der Zweiten Intifada, mit der Zunahme antisemitischer Sprechköre und dem Gebrauch nationalsozialistischer Symbole bei den Fans rivalisierender Clubs, wurden sich jüdische Organisationen der Gefahren bewusst und begannen das Phänomen zu bekämpfen.(12)

2. Das deutsche Israelbild
Die transformatorische Logik der Vergangenheitsbewältigung erfasste neben dem „Deutschen“ und dem „Jüdischen“ auch das Bild Israels. Deutsche begannen eine Geschichte über Israel zu erzählen, die die neuen Selbstbilder des eigenen Landes spiegelte und verstärkte, und umgekehrt. Einer der Wegbereiter dieser Erzählungen war der liberale Politiker Erich Lüth, der 1951 mit drei Gleichgesinnten die „Aktion Friede mit Israel“ gegründet hatte und 1953 als einer der ersten Bundesbürger auf Einladung der Regierung in Jerusalem Israel besuchte und darüber einen Bericht schrieb. Lüth hatte seine Landsleute zuvor zur Annäherung an die „jüdische Restgemeinde in Deutschland“ und an Israel aufgerufen. Die Deutschen müssten die „Bereitschaft zur Wandlung“ öffentlich bekennen. „Damit sollten sie die Rückkehr Deutschlands in die Familie der freiheitlichen Völker vom Makel der Verhaftung an Hitlers mörderische Ideologien zu befreien suchen.“(13)

Lüths Reisebericht enthält Elemente, die den Diskurs über Juden und Israel bis heute kennzeichnen. Lüth nahm die jüdischen Bürger Israels nicht mehr als „Juden“ wahr, sondern als „neue Menschen“, die von den negativen Assoziationen des Diasporatums befreit waren. Hier vermischten sich die Wunschbilder des Zionismus mit denen einer Gesellschaft, die jetzt eine Transformation vom Antisemitismus zum Philosemitismus herbeiwünschte. „Die letzten Reste des Ghettos, die bis in die volle Emanzipation und bis in die Assimilierung fühlbar blieben, haben sich im neuen Staat Israel in ein Nichts verflüchtigt.“ Lüth schrieb über die „alten“ Juden als „ruhelose Wanderer“, vom „jüdischen Typus“, von „jenen alten Merkmalen“, die „teils durchaus positiv“ waren, aber nun endlich, nach der „Heimkehr in das Land der Väter“, verschwunden waren. Diese Logik formte eines der Bindeglieder zwischen der Ideologie Israels und dem Geist der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland.

Der „Prototyp des neuen Israeli“, schrieb Lüth, ist „der Typus der Aufrechten, Starken, Selbstbewussten, körperlich und geistig Beweglichen, der Zähen und im Ringen ums Dasein Tapferen.“ Lüth benutzt Begriffe wie „Land Israel“ und „Volk Israel“ und legt damit die Quellen seiner Impressionen bloß: die israelischen Selbstdarstellungen der Zeit und die zionistischen Mythen über die Kongruenz von jüdischem Volk, jüdischem Land und jüdischem Staat. Es sind diese spezifisch deutschen Wunschbilder von Israel, mit denen Lüth den israelischen Exzeptionalismus als Gegensatz zum deutschen Nationalismus stilisiert: das Streben nach einem auf ethnischer Basis definierten Staat für Juden und die Mittel, die dabei angewendet wurden, stellen den anständigen Nationalismus dar. Das Prinzip des Völkischen, die Organisation von Staat und Gesellschaft um eine ebenso mythische deutsche Volksgemeinschaft, ist das Vergangene, Verwerfliche.(14)

Die Verklärungen, die den Reisebericht kennzeichnen, wurden in den folgenden Jahren zum festen Teil des Gesprächs über Juden und Israel und, indirekt, über die entstehenden Selbstbilder der jungen Bundesrepublik. Dieser Diskurs passte nicht nur zu den politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und Israels. Die Idolisierung Israels und eines neuen, durch Israelis repräsentierten jüdischen Anti-Typen korrespondierte auch mit einer umfassenderen Bewältigungsstrategie, die sich in der schnellen Identifizierung mit Siegern und Opfern ausdrückte und in den Sechzigerjahren zu der Popularität von Figuren wie Anne Frank und Moshe Dayan führte. Diese Strategien unterminierten in den Augen von Kritiker eine tiefere Auseinandersetzung mit der NS-Zeit oder kamen einer Abwehrhaltung gleich.(15)

Lüth führte auch den Topos der „Fruchtbarmachung der Wüste“ in den deutschen Israel- Diskus ein: die Idee von der Vernachlässigung des Bodens durch die arabische Bevölkerung und die Erlösung durch die jüdische; von den Juden als die eigentliche Urbevölkerung, die den „Boden der Väter“ wieder in Besitz nehmen; und von den komplementären Mythen über das Diasporajudentum, das sich nach „jahrhundertelangem Gastdasein“ wieder ein „eigenes Dach über dem Kopf gezimmert“ habe. Die Idee vom Gastdasein der Juden in Europa bedingte die Vorstellung von Arabern als eine Gastbevölkerung in Palästina.

Der Reisebericht wurde zur Pflichtlektüre für bundesdeutsche Schüler, die ab den Sechzigerjahren nach Israel geschickt wurden. Bei der Verabschiedung einer Reisegruppe sprach der Frankfurter Oberbürgermeister Werner Bockelmann von Israel-Aufenthalten als einem „unvergleichlichen politischen Anschauungsunterricht“. Die alten Naziargumente, „Juden seien Ausbeuter und Halsabschneider, sie scheuten körperliche Arbeit, seien feige und verschlagen, konnten in Israel leicht widerlegt werden. Was die Juden beim Aufbau ihres Staates geleistet und erreicht hatten, war ein schlagendes Beispiel des Gegenteils.“ (16)

Im Frühjahr 1960 erhielt der Diskurs über Juden und Israel eine neue Wendung – durch die Gefangennahme und Entführung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst. Die Entführung und das Gerichtsverfahren, das 1961 in Jerusalem folgte, gaben Israel die Möglichkeit, den Staat und die zionistischen Geschichtsauffassungen einem internationalen Publikum auf dramatische Weise nahe zu bringen. Hunderte Journalisten strömten nach Jerusalem und beschrieben das Land in dem Zusammenhang, in dem die Regierung es präsentieren wollte: als Zufluchtsstätte der Holocaust-Überlebenden und als einen Staat, dessen Handeln durch den Holocaust legitimiert war.

Entführung und Prozess sollten als Anschauungsunterricht im Holocaust-Ethos dienen, den auf den Holocaust bezogenen politischen und moralischen Maximen, die den Staat zu bestimmten Handlungen legitimierten. Der unrechtmäßige Akt der Entführung im Namen eines höheren Rechtsprinzips schien dafür besonders geeignet. Während der Verhandlungen selbst, die aus der Jerusalemer Stadthalle live in die ganze Welt übertragen wurden, ergriffen israelische Politiker immer wieder die Gelegenheit, den Staat Israel als das Land der Rettung und Erlösung zu präsentieren, während sie die Diasporageschichte als die Stätte von Verhängnis und Untergang darstellten. Der Prozess half, jenes Narrativ zu verfestigen, das den Nahostkonflikt aus dem Kontext eines kolonialen Konfliktes über Territorium und Selbstbestimmung in den europäischen Geschichtsraum von Judenhass und Judenverfolgung verpflanzte.

In Deutschland befasste sich die Presse vor allem mit dem „sensationellen Akt der Ergreifung“. Die Zeitungen behandelten den Fall zwar als Menschenraub, aber die Meinung überwog, dass „angesichts dieses unvergleichbaren Ausnahmefalles die Sympathie nicht dem Entführten, sondern den Entführern gehöre“.(17) Auch israelische Regierungsstellen und die Presse stellten diesen Aspekt heraus. Der „Unvergleichbarkeit“ des Holocaust legitimiere die Ausnahmehandlungen des Staates, ja lege Israel geradezu eine Pflicht dazu auf, argumentierte Ben Gurion in einem offenen Brief an Nachum Goldmann, der zu den Befürwortern eines internationalen Gerichtsverfahrens gehörte. Während sich einige Intellektuelle in Israel und in westlichen Ländern gegen die „Selbstjustiz der Opfer“ (Martin Buber) aussprachen, wertete die überwiegende Meinung in der Bundesrepublik, wie in anderen westlichen Ländern, die Eichmann-Episode als Zeichen des israelischen Exzeptionalismus, der sich aus dem Exzeptionalismus der jüdischen Geschichte und des Holocaust ableitete und dem jüdischen Staat und Juden bestimmte Privilegien einräumte.(18)

Der Juni-Krieg von 1967 zwischen Israel und den Nachbarstaaten löste in der Bundesrepublik eine Welle der Solidarität mit dem jüdischen Staat aus. Tausende Bundesbürger schrieben in diesen Tagen Briefe an die israelische Botschaft in Bonn und an den Botschafter Asher Ben-Natan, der die Briefe kurz nach seiner Abberufung 1969 veröffentlichte. Die Briefe geben die deutschen Wunschbilder vom jüdischen Staat und von der Läuterung der „Deutschen“ wieder, spiegeln aber auch die Bilder, die Israel über sich selbst entwarf und verbreiten wollte. Aus den Briefen sprechen alte Wir-Konstruktionen über das „deutsche Volk“, das wie selbstverständlich keine Juden umfasste, und die umgekehrten Stereotypen von den edlen und tapferen Juden. Auch Botschafter Ben-Natan erkannte im Junikrieg einen wichtigen Wendepunkt. Deutschland habe 1967 in Israel Neues entdeckt, „Charakterzüge, die dem Deutschen am Herzen liegen: Mut, Tapferkeit, Fleiß und Zuverlässigkeit“. Dies sei die erste „richtige Wahrnehmung“ gewesen und sie habe die weit verbreitete, „von Vorurteilen belastete Meinung über Juden“ endlich korrigiert.(19)

Einen überraschend großen Teil seiner 1971 veröffentlichten Briefsammlung widmete Ben- Natan einem neuen Phänomen, oder dem, was er als ein neues Phänomen ausgab – der Kritik von Deutschen an Israel. Nur etwa „1,5 Prozent“ der Briefe seien es gewesen, die „an Israel oder an meiner Person Kritik übten oder ihren antisemitischen Neigungen Ausdruck geben wollten“, schrieb der Botschafter in seiner Einleitung. Für ihn hätten diese „ablehnenden Briefe“ trotzdem ein besonderes Problem dargestellt. „Ich habe ihnen bei der Auswahl einen großen Raum eingeräumt, weil ich glaube, dass der Prozentsatz solcher Ansichten in der Bundesrepublik größer ist, als es sich in den Briefen ausdrückt.“(20)

Die bemerkenswerte Entscheidung dieses hohen israelischen Diplomaten, ein Drittel des fast 400 Seiten umfassenden Bandes der Veröffentlichung von „kritisch-ablehnenden und antisemitischen Briefen“ zu widmen, stand in einem besonderen Zusammenhang: der israelischen Presse- und Informationspolitik, die sich seit Mitte der Sechzigerjahre darum bemühte, Kritik an israelischer Politik in der westlichen Öffentlichkeit mit dem Makel des Antisemitismus zu behaften. Diese Strategie wurde zuerst in den USA angewendet, wo Israel sich seit der Präsidentschaft Kennedys um die Festigung eines anfangs noch brüchigen politischen und militärischen Bündnisses bemühen musste. Israel begriff Kritik an seiner Politik, auch von jüdischer Seite, als existenzielles Problem und bekämpfte sie mit einem der wirkungsvollsten Mittel, die dem jüdischen Staat zur Verfügung standen – dem Antisemitismusvorwurf.

Während der Amtszeit von Avraham Harman, der von 1959 bis 1968 als israelischer Botschafter in Washington diente, wurde in diese Diffamierungsstrategie viel investiert. Der damalige Washington-Korrespondent der israelischen Tageszeitung Haaretz, Amos Elon, erzählte gerne eine Anekdote über dieses ihm damals äußerst bizarr erscheinende Phänomen, das später zum Allgemeingut der Nahost-Debatten wurde. In den frühen Sechzigerjahren interviewte er einen hohen israelischen Diplomaten, der kurz davorstand, von seinem Washingtoner Posten nach Israel zurückzukehren. Auf die Frage, was er als seinen wichtigsten Erfolg in Washington betrachte, antwortete der Diplomat: „Ich habe die Amerikaner davon überzeugen können, dass Anti-Zionismus Antisemitismus ist.(21)

Je weniger sich die komplexen Ursachen und Wirklichkeiten des Nahostkonflikts mit den transformatorischen Idealisierungen des deutschen Diskurses deckten, desto mehr mussten die Grenzen bewacht werden. In der Bundesrepublik wurde das Bild von Israel und vom Ursprung und der Dynamik des Konflikts zunehmend von Themen und Strategien bestimmt, die ihre Quelle im Jerusalemer Außenministerium oder bei Organisationen hatten, die sich mit der Bekämpfung „palästinensischer Propaganda“ oder der Verteidigung des „Existenzrechts Israels“ befassten. So wurde der neue Diskurs über Juden und Israel, der als Verwandlung des „Deutschen“ begann, allmählich zum politischen Besitzstand des jüdischen Staates, der verteidigt werden musste. Diese Entwicklung war in gewissem Maße unumgänglich. Der Diskurs basierte auf gemeinsamen Identitätskonstruktionen, auf spezifisch deutschen Wunschbildern von Israel und auf reziproken israelischen Vorstellungen über ein geläutertes Deutschland, die voneinander abhängig waren.

3. Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungsarbeit
Für viele Juden in Deutschland enthielt der pro-jüdische und pro-israelische Diskurs und die entstehenden Partnerschaften zwischen der Bundesrepublik und Israel eine äußerst positive Botschaft. Er enthielt allerdings auch Versprechen, die kaum einzulösen waren. Das galt vor allem für den nicht zufällig immer wieder als „neu“ deklarierten, altbekannten Antisemitismus. Antisemitismus als soziales Vorurteil und als politisches Instrument war auch in der Bundesrepublik weiter existent und, trotz aller rhetorischen Anstrengungen, offenbar nicht so schnell auszurotten. Antijüdische Handlungen und Äußerungen ließen sich zwar sanktionieren und konnten bis zu einem gewissen Grad aus der Öffentlichkeit verbannt werden, aber damit war das Instrumentarium der akuten Antisemitismusbekämpfung schon erschöpft.

Der beste Weg zu Reduzierung der Vorurteile war die langfristige Bildungs-, Aufklärungs- und “Erinnerungsarbeit“. Sie gehörte auch zum Instrumentarium des Wandels, aber wurde von einigen Aspekten der „Vergangenheitsbewältigung“ selbst behindert und unterminiert. Da war in erster Linie die fortbestehende Bestimmung von Juden als „Juden“ und die Ausrichtung der Erinnerungskultur auf jüdische Opfer. Die Erinnerung an „Auschwitz“, die bis heute im Vordergrund der Vergangenheitsbewältigung steht, rief viel unterschwelligen Widerstand hervor und trug dazu bei, die Vergangenheitsbewältigung mit dem Stigma einer „undeutschen“ Erinnerung zu belegen. Das Narrativ der „Tätergesellschaft“, ohnehin simplifizierend und bemäntelnd, schlug sich bald in Ressentiments nieder, die als „sekundärer“ Antisemitismus bezeichnet wurden.(22)

Kritiker der Vergangenheitsbewältigung begannen mehr oder weniger subtil auf Juden als angebliche Nutznießer und Drahtzieher hinter der „Fremdbestimmung“ der Erinnerung an den Weltkrieg zu weisen. So sprach der Schriftsteller Martin Walser 1998 von der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“, von Auschwitz als „Drohroutine“, als „jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule“. Walser beklagte die Exzesse der Erinnerungskultur, vertreten durch den „fußballfeldgroßen Alptraum, die Monumentalisierung der Schande“ (23) des Holocaustdenkmals in Berlin. Der Literaturwissenschaftler Matthias Lorenz stellte später fest, dass Martin Walser auch in seinen Werken versucht habe, „den Opferstatus von jüdischen Figuren zu demontieren und durch die Andeutung eigener Täterschaft zu ersetzen, während die Angehörigen des Tätervolks als stille Opfer der Geschichte repräsentiert werden“.(24) Walser gehörte zu einem breitem Spektrum an Meinungen, die eine „deutsche“ Erinnerung an Nationalsozialismus, Krieg und den deutschen Opfern stärken und es vom „jüdischen“ Erinnern unterscheiden wollten.

Der ostentative Philosemitismus und die Zuspitzung der „Aufarbeitung“ der deutschen Geschichte auf Holocaust und Antisemitismus kollidierte im Laufe der Jahrzehnte auf vielen Ebenen mit gegenläufigen Tendenzen: in den sozialen Spannungen zwischen den westdeutschen Eliten in Politik und Medien, die sich zu „Juden“ und „Israel“ hinwendeten, und Teilen der Bevölkerung, die unterschwellig eine eigene Erinnerung pflegten, in denen nicht Juden sondern Deutsche als die hauptsächlichen Opfer erschienen.(25) Zwischen Befürworten einer liberalen Gesellschaft, die schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Antisemitismus als Instrument antidemokratischer Strömungen identifizierten,(26) und deutschen Nationalisten verschiedenster Couleur, die Juden als Internationalisten oder als Gefahr für das „Deutsche“ darstellten; und in der Auseinandersetzung über die Position des Holocaust in der europäischen Geschichte und der deutschen Geschichtsschreibung. Nach der Wiedervereinigung traf die „Vergangenheitsbewältigung“ als ideologischer Wegbereiter der Westintegration auf eine Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in der ehemaligen DDR, die auf Ostintegration und die Erinnerung an die Opfer des kommunistischen Widerstand und der Roten Armee gesetzt hatte.

In den neuen Bundesländern musste nicht nur der Umgang mit der westlichen Erinnerungskultur gelernt werden, sondern auch das Gespräch über „Juden“ als Stellvertreter des „Anderen“. Diese Elemente galten in der alten Bundesrepublik als Symbol der gesellschaftlichen Erneuerung, im Osten allerding mussten sie als Symbole der Dominanz des Westens erscheinen. Die „undeutsche“ Erinnerungskultur mit ihrer Ausrichtung auf „Juden“ wurde zur Zielscheibe fremdenfeindlicher und rassistischer Strömungen. Juden erschienen in Verschwörungstheorien wieder in der Rolle der Drahtzieher, diesmal von einer „Umvolkung“ Deutschlands. Das Ideal eines Deutschlands diverser Religionen und Ethnizitäten war im westdeutschen Diskurs immerhin mit Juden verbunden. So blieb die Rolle von „Juden“ als homogenes Subjekt einer Ideologie, die auf die Beseitigung des Stigmas „deutsch“ zielte und dabei explizit und implizit „deutsch“ unter den Vorzeichen einer politischen Wandlung als Kollektiv neu konstruiert wollte, auch weiter aktuell.

4. Auf gepackten Koffern

In den letzten zwanzig Jahren hat Antisemitismus als Thema unter Juden unverkennbar an Bedeutung zugenommen. Medien wie der New Yorker „Forward“, der Londoner „Jewish Chronicle“, das Amsterdamer „Het Nieuw Israëlietisch Weekblad“ oder die Berliner „Jüdische Allgemeine“ widmen seit geraumer Zeit einen großen Teil ihrer Berichterstattung und Kommentare dem, was als stark zunehmender Antisemitismus und Anti-Israelismus dargestellt wird. Auch außerhalb jüdischer Medien und Netzwerke wird dem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Im Rahmen eines größeren Projekts hatte ich 2011-2018 Gelegenheit, mit etwa hundert jüdischen Bürgern in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien Gespräche darüber zu führen. Vor allem bei meinen deutschen Gesprächspartnern schälte sich ein deutliches Muster heraus: die großen Unterschiede zwischen positiven Erfahrungen im persönlichen Bereich und den Wahrnehmungen der Gesellschaft, die (wieder) als stärker bedrohlich und feindlich empfunden wurde.(27)

Die Uniformität dieser Erzählungen wirft Fragen auf. Warum wurde die eigene Umgebung als sicher, die Gesellschaft allgemein aber als gefährlich empfunden, und welchen Einfluss hatten die Veränderungen im Antisemitismus-Diskurs darauf? 1982 versursachte eine Antisemitismus-Studie einiges Aufsehen, die diese Diskrepanz zum ersten Mal in Zahlen ausdrückte. Die Studie hatte neben einer repräsentativen Gruppe in der Bevölkerung zum ersten Mal auch Juden über ihre Wahrnehmung des Antisemitismus befragt.(28) Die Umfrage unter fast 400 Juden in der Region Düsseldorf-Köln-Bonn ergab, dass zwischen Zweidrittel und Dreiviertel der Befragten nie oder nur selten persönliche anti-jüdische Erfahrungen gemacht hatten. Einer der Befragten sagte zum Beispiel: „Ich merke keine direkten Vorurteile, aber es liegt in der Luft, man spürt es ganz deutlich.“ Ein anderer erzählte: „Man spürt eigentlich nicht das geringste, aber man hat doch irgendwie das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen.“

Trotz der positiven Wahrnehmungen im Nahbereich war die Einschätzung der Befragten hinsichtlich des Umfangs antijüdischer Ressentiments in der Bundesrepublik überraschend hoch. Fast 80% schätzte die deutsche Bevölkerung als mäßig oder stark antisemitisch ein. Die Verfasser der Studie beurteilten diese unterschiedlichen Wahrnehmungen als die Tendenz, die eigenen Erfahrungen zu verharmlosen und sie auf den kollektiven Bereich zu verlagern, und warfen den Juden wie der deutschen Gesellschaft eine „Verharmlosungstendenz“ gegenüber Antisemitismus vor. (29)

Andere Antisemitismus-Studien der Jahre 1946-1989 zeigen, dass nach einer Schamperiode in der direkten Nachkriegszeit unter etwa 15% der Bevölkerung ein antisemitisches Weltbild vorherrschte, zusätzlich etwa ein weiteres Drittel unter Vorurteilen litt und somit bei ca. der Hälfte der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße anti-jüdische Vorurteile vorhanden waren. Die Befunde blieben in vier Jahrzehnten konstant und passten zu dem, was in dieser Periode aus anderen Ländern bekannt ist. Auch in den USA, in Frankreich und England ließen sich bei 40-50% der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße Vorurteile gegenüber Juden feststellen.(30) In der Bundesrepublik führten diese Ergebnisse allerdings zu heftigen Reaktionen. Die verständliche Erwartung war, dass gerade in Deutschland nach dem Holocaust eine gewisse Läuterung hätte stattfinden müssen.

Die Studie von 1982 war Teil einer neuen Gegenerzählung zur „Vergangenheitsbewältigung“ und bildete zusammen mit anderen kritischen Äußerungen eine neue „jüdische“ Stimme. Diese Stimme war nicht jüdisch im herkömmlichen Sinne, sondern in ihrer Positionierung gegenüber „deutsch“ als Kollektiv. Im Gegensatz zu dem durch Politik und Mainstream-Medien erzeugten Bild sei der Antisemitismus in der Bundesrepublik, so die Vertreter dieser neuen Tendenz, sowohl unter Rechten wie Linken stark verbreitet. Besondere Zielscheibe des Protests war der Antisemitismus unter Linken und der vermeintlich antisemitische Israel-Diskurs in der BRD. Bei der „jüdischen“ Stimme stand vor allem die These vom Deutschen als dem „Ewigen Antisemiten“ im Vordergrund, der sich von allem Jüdischen nach „Auschwitz“ provoziert und erniedrigt fühlte. (31)

Die kollektiven Muster dieses Diskurses tauchten auch mehr als zwanzig Jahre später bei fast allen meinen deutschen Gesprächspartnern auf. Während die eigenen Erfahrungen als sehr positiv eingeschätzt wurden, fiel das Urteil über die „Deutschen“ insgesamt negativ aus. Wichtigster Grund: die angeblich negative Berichterstattung über Israel in deutschen Medien und die negative Haltung gegenüber Juden, die sich darin spiegele. Diese Israelisierung des Antisemitismus-Diskurses zeigte sich auch in einer großen Distanz zur „deutschen“ Gesellschaft und der Nähe zu Israel, eine Besonderheit, die auch Umfragen unter Juden in Deutschland immer wieder bestätigen.(32) In der Verbundenheit mit Israel und der großen Reserviertheit gegenüber Staat und Gesellschaft im eigenen Land bilden Juden in Deutschland eine Ausnahme in Europa, selbst im Vergleich zu Juden in Frankreich, wo eine ähnliche Nähe zu Israel zu verzeichnen ist, allerdings auf einem anderen Hintergrund.(33)

Dieses Syndrom der „gepackten Koffer“ als Kennzeichen der jüdischen Bevölkerung in Deutschland ist seit 70 Jahren überraschend konstant. Während sich die Zusammenstellung der jüdischen Bevölkerung drastisch veränderte, blieben die Wahrnehmung von Antisemitismus und die damit verbundenen Sorgen ein Grund, sich weiterhin in Deutschland fremd zu fühlen. Hier wird eine der einschneidensten Folgen jüdischer Alterität sichtbar, die von der „Vergangenheitsbewältigung“ gefördert und von einem israelisierten Antisemitismus-Diskurs instrumentalisiert wurde. 2014 zeigte eine Studie unter Kindern aus „gemischten“ Ehen zwischen Juden und Nichtjuden in der Bundesrepublik, dass auch für diese fragile Schwellengruppe Wahrnehmungen von Antisemitismus für ihre Identität ausschlaggebend blieben. (34)

Die Berichterstattung über Israel, Antisemitismus und vor allem über anti-jüdische Anschläge nimmt in der Bunderepublik traditionell einen besonderen Platz ein. Das gilt sowohl für die Quantität wie die kollektiven Qualifizierungen von „Juden“ und „Israel“ als bedrohte Subjekte. Wie die Sicherheitsmaßnahmen vor Synagogen und Einrichtungen erinnert auch diese Art der Berichterstattung Juden täglich daran, dass sie eine besondere Position als „Juden“ einnehmen und jederzeit Ziel von tödlichen Angriffen sein können. Zudem werden Ängste, und vor allem Ängste vor Muslimen, von verschiedenen Narrativen geschürt: vom Antisemitismus-Diskurs in Israel, von rechten Parteien in Europa, aber ungewollt auch von denen, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben haben.

Jüdische Medien spielen dabei eine besondere Rolle. Beginnend mit den Anschlägen in Israel während der Zweiten Intifada wurden gerade über jüdische Netzwerke die Thesen vom „neuen Antisemitismus“ verbreitet, die auf sehr problematische Weise die Antisemitismus-Erfahrungen in der Diaspora mit den Erfahrungen von Krieg und Anschlägen in Israel verbanden und damit äußerst wichtige Unterschiede verwischten. Dass diese Antisemitismus-Narrative schnell mit anderen Elementen jüdischer Identität verschmolzen, kam kürzlich sehr treffend in einer Abonnenten-Werbung des „Forward“ zum Ausdruck. Der Inhalt des Blattes wurde so angepriesen: „Antisemitismus, Humus und alles, was dazwischen liegt“.(35)

Eine ähnliche Wirkung geht von den Zahlen der „Antisemitismus-Monitore“ aus, die jährlich in vielen europäischen Ländern veröffentlicht werden. Sie geben die Arbeit zivilgesellschaftlicher Meldestellen wieder, die anti-jüdische Vorfälle und Äußerungen sammeln und damit ein oft alarmierendes Bild der Zunahme von Antisemitismus zeichnen. Die Statistiken, die u.a. durch Meldebereitschaft, Dunkelziffer und durch subjektive Sichtweisen sowohl der Melder wie der Zähler beeinflusst werden, enthalten allerdings mehr als nur systematische Fehler. Sie reproduzieren bekannte Narrative, anstatt sie durch methodische fundierte Forschung zu befragen.

Die Meldungen über Zunahme und das Auftauchen neuer Antisemitismen in Bezug auf Israel stehen im Gegensatz zu den Aussagen der Sozialforschung, die seit Jahrzehnten die Haltung von Bürgern gegenüber Juden ermittelt und keine starke Zunahme der Vorurteile in der Gesellschaft sehen lässt. Eine gezielte Umfrage zum Thema „Israelkritik“ 2010-2012 ergab zudem, dass die Schnittmenge zwischen antisemitischem Denken und Kritik an Israel in der Bundesrepublik klein ist. Bei einer Mehrheit der Deutschen ginge diese Kritik gerade mit einer deutlichen Ablehnung von antisemitischen Stereotypen gepaart, schrieb der Autor der Studie, Wilhelm Kempf.(36)

Trotz der großen medialen Aufmerksamkeit für Umfragen und Zähl-Projekte wird selten erwähnt, dass Wahrnehmungen von Antisemitismus unter Juden sich nur schwer quantifizieren lassen. Das liegt unter anderem an methodologischen Problemen, die von der demografischen „Unsichtbarkeit“ von Juden verursacht wird. Die meisten europäischen Staaten registrieren zum Beispiel weder Herkunft noch Religion ihrer Bevölkerungen, noch können jüdische Gemeinden Sozialforschern Namenlisten bieten, von denen eine willkürliche Auswahl getroffen werden könnte. Um Juden zählen oder befragen zu können, greifen Forscher schon lange zu unkonventionellen Methoden. So suchen sie nach jüdischen Namen im Telefonbuch, rufen an und fragen „Sind sie Jude?“.(37) Oder sie befragen schon jahrzehntelang dieselben Menschen und extrapolieren die Veränderungen. Soweit ist das Problem der Unsichtbarkeit inzwischen gediehen, dass bei einer großen, 2012 von der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) in Auftrag gegebenen Umfrage zu subjektiven Erfahrungen mit Antisemitismus zu einer Notlösung gegriffen werden musste. Der erste Versuch, eine repräsentative Zahl von Juden in acht ausgewählten europäischen Ländern zu finden, scheiterte. Im zweiten Anlauf wurden Juden über jüdische Medien und Organisationen aufgefordert, einen Fragebogen online auszufüllen. Fast 6.000 europäische Juden, die sich selbst als Juden identifizierten, über jüdische Netzwerke erreichbar waren und aus eigenen Motiven heraus über dieses Thema berichten wollten, berichteten über ihre Erfahrungen mit Antisemitismus. Dieses Auswahlverfahren hatte natürlich Folgen. Der Anteil derjenigen, die Antisemitismus als großes Problem empfanden (66%) oder Antisemitismus in Europa anwachsen sahen (76%), war entsprechend hoch. Der Prozentsatz der Teilnehmer, die selbst verbalen oder physischen Attacken ausgesetzt waren, lag hingegen zwischen 3 und 5%, also bei einem Anteil, der früheren Studien entspricht.(38)

Die Methode der FRA-Studie wurde von den beteiligten Forschern als problematisch eingeschätzt, allerdings nur in der Fachliteratur.(39) In der allgemeinen Öffentlichkeit übten die Ergebnisse der Studie hingegen großen Einfluss aus. Im Frühjahr 2018 ließ die Europäische Grundrechte-Agentur eine zweite Umfrage unter 16.000 Juden in 12 Staaten ausführen. Auch diesmal wurde der Aufruf zur Ausfüllung des Online-Fragebogens über jüdische Organisationen verteilt, mit als Folge dieselben Wahrnehmungen auf Basis der gleichen Stichprobenverzerrung: Selbstbeteiligung; Überrepräsentation von Teilnehmern, die durch jüdische Medien motiviert und informiert waren; und der starken Unterbeteiligung von Nichtmitgliedern jüdischer Gemeinden und Organisationen – etwa die Hälfte der Juden Europas. Auch hier wurden, ebenso wie bei den Meldestellen-Zahlen, bekannte Wahrnehmungsmuster reproduziert, ohne die beschränkte Aussagekraft dieser Ergebnisse zu betonen. Das Gespräch über Antisemitismus in der Bundesrepublik ist damit in einen argumentativen Zirkel geraten, der von der Berichterstattung in den Medien, von den Zahlen der Meldestellen und vom Gespräch im jüdischen Umfeld genährt wird, sich dann in Umfragen ausdrückt, die wiederum ihren narrativen Niederschlag in den Medien finden.

5. Äußere und innere Feinde Israels
Ein beträchtlicher Einfluss auf das Gespräch über Antisemitismus in Deutschland geht von den Antisemitismus-Narrativen und der Instrumentalisierung der Holocaust-Erinnerung in Israel aus. 1953 war Israel der erste Staat, der per Gesetz der Holocaust-Erinnerung explizit eine bestimmte Bedeutung zuwies. Erinnert sollte werden „die Katastrophe, die die Nazis und ihre Kollaborateure über das jüdische Volk gebracht hatten und die Akte des Heldentums und der Revolte“ („Märtyrer- und Helden-Gedenkgesetz“). Die Katastrophe stand in Israel sowohl für die Schwäche der Diaspora, von denen sich der Staat zu unterscheiden suchte, wie für die Erzählungen der Selbstwehr und Selbstbestimmung, die Israel sich aneignete. Mit der Rolle Israels als Zufluchtsstätte und Schutzmacht der Juden im Ausland erhielt auch das Gespräch über Antisemitismus in der Diaspora eine prononciert politische Rolle. Die Selbstpositionierung Israels als Verteidigerin der Diaspora fand in der Darstellung des Juni-Krieges 1967 als „Antithese zur Katastrophe der Galut“ (Kimmerling) ihren Höhepunkt. (40) Mit dem Beginn der Besiedlung der Besetzten Gebiete, dem umstrittenen Libanonkrieg von 1982 und der Ersten Intifada begann sich das israelische Antisemitismus-Narrativ auszuweiten: auf Palästinenser und auf die Kritiker israelischer Politik im In-und Ausland.

Als im Juni 1980 europäische Staaten zum erstmals zu Friedensverhandlungen mit der PLO aufriefen, lehnte Ministerpräsident Begin es ab, mit der „Arabischen SS, auch PLO genannt“ zu verhandeln. „Seit Mein Kampf hat niemand mehr so deutlich seine Absicht erklärt, die jüdische Nation vernichten zu wollen“.(41) In einer Stellungnahme während der Invasion des Libanon 1982 ging Begin noch einen Schritt weiter: „Ich fühle mich wie ein Regierungschef, der seine tapfere Armee nach Berlin führt, wo sich Hitler und seine Henker in einem Bunker tief unter der Erde eingegraben haben. Meine Generation […] hat am Altar Gottes geschworen, dass der, der seine Absicht verkündet, den jüdischen Staat oder das jüdische Volk zu vernichten, sein Schicksal besiegelt hat.“(42)

Dieser Diskurs begleitete und beschleunigte den Prozess der Umdeutungen, die den nahöstlichen Ursprung des Konflikts mit den Palästinensern bagatellisierten, ihn dem europäischen Geschichtsraum von 1933-1945 zuordneten und ihn mit Antisemitismus verbanden. Für den jüdischen Bevölkerungsteil bedeuteten diese Sinngebungen nichts weniger als eine neue, umfassende Interpretation des Konflikts und seiner Dynamik, die der arabischen-palästinensischen Seite die entscheidende Verantwortung für den Grundkonflikt zuwies. Wenn die Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat auf antisemitischen Einstellungen und genozidalen Absichten beruhte, war die jüdische Bevölkerung aus ihrer Verantwortung für Entstehung und Lösung des Konflikts entlassen.

Das traditionelle Bild vom Antisemitismus als „nicht behebbares“ Problem der Diaspora, wie Theodor Herzl es 1896 in „Der Judenstaat“ beschrieben hatte, entwickelte sich in diesem Kontext allmählich zu einem umfassenden Feindbild, das neben den Judenfeinden im Ausland auch die Widersacher des Staates Israels umfasste und schließlich auch die „inneren“ Feinde, die sich gegen die Besatzung und gegen rassistisch-nationalistische Ideen vom „Land Israel“ für das „Volk Israel“ aussprachen. Antisemitismus bedeutete nicht mehr allein eine Gefährdung der Juden in der Diaspora, sondern eine Gefahr für Israel, die mit Hilfe der Diaspora bekämpft werden musste. Israelische Regierungen begannen gezielt, jüdische Organisationen im Ausland für diesen Kampf zu mobilisieren.(43)

Einer der Protagonisten dieser Wandlung und Radikalisierung des Antisemitismus-Diskurses war der in den USA geborene Rabbiner Meir Kahane, Gründer der Jewish Defense League in den USA und der rassistisch-nationalistischen Kach-Partei in Israel. In seinen Reden und Schriften richtete sich Kahane (1932-1992) vor allem gegen den angeblich jüdischen Anteil am Fortbestehen des Antisemitismus. Er beklagte die Unterwürfigkeit des jüdischen Liberalismus in den USA ebenso wie den Defätismus der traditionellen israelischen Politik. Wie der US-amerikanische Rabbiner und Religionswissenschaftler Shaul Magid eindrucksvoll dargestellt hat, bezogen sich Kahanes Ideen nicht mehr auf traditionelle Vorstellungen von einem „ewigen“ Antisemitismus in der Diaspora, den Juden durch Gründung eines eigenen Staates entfliehen konnten. Inspiriert von den Ideen antikolonialer Befreiungsbewegungen war für Kahane Antisemitismus nicht mehr ein äußerer „Amalek“, ein außerhistorisches, „metaphysisches Prinzip“ (Hanna Arendt), das jüdisches Leben seit biblischen Zeiten begleitete, sondern ein verinnerlichter Feind, der auf ganz andere Weise beseitigt werden musste: durch ein Ende der „Komplizenschaft“. „Die schlimmsten Antisemiten sind die Antisemiten jüdischen Ursprungs“ schrieb er 1971 in „Nie Wieder!“ Einige Jahre später rief er dazu auf „Antisemitismus sofort zu zertreten, sobald er sich bemerkbar macht“. Das sei „die einzige Garantie für jüdisches Überleben“.(44)

Die wachsende Kritik an der Besatzung und an der Ideologie der Siedlerbewegung stärkte das Narrativ des internen Antisemitismus, vor allem bei der israelischen Rechten.(45) Die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen und die Evakuierung von Siedlern im Sommer 2005 führte zu einer Explosion von Antisemitismus-Vorwürfen und Holocaust-Analogien. So sprach der Vorsitzende des Siedlungsverbandes Pinhas Wallerstein von einer drohenden „Deportation“ von Juden durch Juden, während Zvi Hendel, bis 2004 stellvertretender Erziehungsminister in der Regierung Sharon, die Befolgung der Räumungsbefehle durch das israelische Militär mit dem Gehorsam im Nationalsozialismus verglich: „Auch Eichmann hat nur Befehle befolgt.“ Die an der Räumung beteiligten Beamten seien „Mitglieder des Judenrates“, schrieb der rechtsgerichtete Historiker Amnon Shapira.(46)

Die Erzählung vom Antisemitismus als umfassende Gefährdung Israels, die sich in antijüdischer Hetze der Palästinenser, in vorurteilsbeladener Berichterstattung im Ausland und in einer jüdischen Komplizenschaft mit antijüdischen Interessen äußert, bewegte sich während der Krisenjahre der Zweiten Intifada vom rechten Rand des politischen Diskurses ins Zentrum. So floss das Narrativ u.a. in das Gesetz über die „Transparenz-Anforderungen für Nicht-Regierungsorganisationen“ ein, das im Juli 2016 verabschiedet wurde.(47) Das Gesetz verpflichtet NGOs, die eine großen Teil ihrer Mittel von ausländischen Organisationen und Regierungen erhalten, diese Quellen in allen Publikationen anzugeben. Wie mir der Leiter einer dieser NGOs 2019 erzählte, kommt diese Bestimmung dem Stempel „Verräter“ gleich, den er auf allen Schriften seiner Organisation selbst anbringen muss.

Diese Wandlung des Antisemitismusbegriffs in Israel hatte auch Einfluss auf den Holocaust- Diskurs. Die Umdeutung des Internationalen Holocaust-Gedenktages (27. Januar) ist dafür ein gutes Beispiel. Dieser Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz, an dem im Ausland der Opfer des Holocaust gedacht wird, wurde in Israel 2004 zum „Tag des Kampfes gegen Antisemitismus“ umgetauft. Während der israelische Holocaust-Gedenktag, der „Tag der Katastrophe und des Heldentums“, symbolisch weiterhin im Frühjahr zwischen dem Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto und dem israelischen Unabhängigkeitstag platziert bleibt, widmet die Regierung seit 2004 den Internationalen Gedenktag dem Problem des internationalen Antisemitismus. An diesem Tag wird jedes Jahr der Antisemitismus-Bericht des Diaspora-Ministeriums vorgelegt. Der Bericht von 2016 befasste sich auf 31 von 60 Seiten mit „anti-israelischer Hetze“.(48) Über diese Israelisierung des Antisemitismus-Diskurses schrieben ein britischer und ein israelischer Forscher 2016: „Was ist die Judenfrage heute? Gibt es überhaupt noch eine ‚Judenfrage‘, abgesehen von einer ‚Israelfrage‘?“ (49)

1 Vgl. https://opel.co.il, aufgerufen am 25. März 2020.
2 Ian Buruma, Wages of Guilt. Memories of War in Germany and Japan, London 2009, S. 19.
3 Susan Neiman, Learning from the Germans. Race and the Memory of Evil, New York 2019, S.15.
4 Brian Klug, The collective Jew. Israel and the new antisemitism, in: Patterns of Prejudice, Bd. 37, Nr. 2 2003, S.5f.
5 Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts, München 1899, S. 223, 338.
6 Frank Stern, Im Anfang war Auschwitz, S. 352; Zitate Maas ebd., S. 273, 293f.
7 Rede von Landesrabbiner Robert R. Geiss, in: Hans Joachim Schoeps (Hrsg), Jüdische Geisteswelt, Köln 1960, S. 319.
8 Ludwig Rosenberg, Gewerkschaften im Nachkriegsdeutschland, in: Vom Schicksal Geprägt, hrsg. v. M.W. Gärtner, H. Lamm, E.G. Lowenthal. Düsseldorf 1957, S. 87.
9 Anson Rabinbach, Why Were the Jews Sacrificed? The Place of Anti-Semitism in the Dialectic of Enlightenment, New German Critique 81 (Herbst 2000), S.51.
10 Eleonore Sterling, Judenfreunde – Judenfeinde. Fragwürdiger Philosemitismus in der Bundesrepublik, Die Zeit Nr. 50, 10.12.1965.
11 Theodor W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt/M 1963, S.125-146.
12 Daniel Cil Brecher, Der David. Der Westen und sein Traum von Israel, Köln 2011, S.230-42.
13 Erich Lüth, Wir bitten Israel um Frieden, Neue Zeitung, 30. August 1951; abgedruckt bei Kurt R. Grossmann, Die Ehrenschuld. Eine Kurzgeschichte der Wiedergutmachung, Frankfurt/M 1967, S. 187-191. Erich Lüth, Reise ins Gelobte Land, Hamburg 1953, S. 3f.
14 Ebenda, S. 11, 13, 15, 36f.
15 Inge Deutschkron, Israel und die Deutschen, Köln 1970, S. 17.
16 Zitiert bei Inge Deutschkron, ebenda, S. 171f, 190.
17 Ebenda, S. 139, 143ff.
18 Tom Segev, The Seventh Million. The Israelis and the Holocaust, New York 2000, S. 329, 361. Tom Segev, 50 years after Eichmann capture, much information still withheld, in: Haaretz 4.4. 2011.
19 Asher Ben-Natan, Brücken bauen – aber nicht vergessen. Als erster Botschafter Israels in der Bundesrepublik (1965-1969), Düsseldorf 2005, S. 111, 116.
20 Asher Ben-Natan (Hrsg.), Briefe an den Botschafter, Franfurt/M 1971, S. 14.
21 Zitat Amos Elon bei Tony Judt, Amos Elon (1926-2009), in: The New York Review of Books, Bd. 56, Nr. 11, 2. Juli 2009.
22 Daniel Cil Brecher, Die unverträgliche Erinnerung. Holocaust und kollektive Identitäten in Deutschland und Israel, in: Psychoanalyse -Texte zur Sozialforschung, Heft 1 / 2012, S. 112ff.
23 Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hrsg.), Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1998. Martin Walser. Ansprachen aus Anlaß der Verleihung, Frankfurt/Main 1998.
24 Matthias N. Lorenz, Auschwitz drängt uns auf einen Fleck. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Stuttgart 2005, S. 492f.
25 Vgl. Konrad Brendler, Die NS-Geschichte als Sozialisationsfaktor und Identitätsballast der Enkelgeneration, in: Bar-On, D., Brendler, K., Hare A.P. (Hrsg.), „Da ist etwas kaputtgegangen an den Wurzeln …“. Identitätsformation deutscher und israelischer Jugendlicher im Schatten des Holocausts, Frankfurt/M 1997. S. 53-104. Welzer, H., Moller, S., Tschuggnall, K. (Hrsg.), Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt/M 2002.
26 Wolfgang Benz, Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments, Schwalbach/Ts. 2015, S. 16, 46 27 Daniel Cil Brecher, Nachbarn und Fremde. Juden in Europe zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Buchveröffentlichung in Vorbereitung). Eine Auswahl der Gespräche wurde 2012-2019 in einem halben Dutzend Sendungen des Deutschlandfunks und des Westdeutschen Rundfunk veröffentlicht. Sie lassen sich auf den Internetseiten der Sender unter dem Namen des Autors aufrufen.
28 Alphons Silbermann, Sind wir Antisemiten? Ausmaß und Wirkung eines sozialen Vorurteils in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1982, S. 90.
29 Ebenda, S.10.
30 Werner Bergmann, Rainer Erb, Antisemitismus in der Bundesrepublik. Ergebnisse der empirischen Forschung von 1946-1989, Opladen 1991, S. 58-62, 152.
31 Siehe u.a. Wolfgang Port, Endstation. Über die Wiedergeburt der Nation, Berlin 1982. Eike Geisel, Lastenausgleich, Umschuldung, Berlin 1984. Henryk Broder, Der Ewige Antisemit, Frankfurt 1986.

32 Siehe z.B. Walter W Jacob Oppenheimer, Über die jüdische Jugend im heutigen Deutschland. Eine sozialpädagogische Studie, München 1967, S.126ff. Eliezer Ben-Rafael, Yitzhak Sternberg, Olaf Glöckner, Juden und jüdische Bildung im heutigen Deutschland. Eine empirische Studie im Auftrag des L.A. Pincus Fund for Jewish Education in the Diaspora, Jerusalem 2010, S. 80.

33 Erik H. Cohen, The Jews of France at the Turn of the Third Millennium. A Sociological and Cultural Analysis, Ramat Gan 2009, S. 67.
34 Julia Bernstein, „Ab und zu Kosher, ab und zu Shabbat”. Eine Studie zu Identitäten, Selbstwahrnehmungen und Alltagspraktiken von Kindern aus „mixed families“ in Deutschland, Oxford 2014, S. 20ff, 40.
35 “Forward. Fiercely independent Jewish journalism. Anti-Semitism. Hummus. And everything in between.” Werbe-Email, verschickt am 16. März 2020 von subscriptions@e.forward.com.
36 Wilhelm Kempf, Antisemitismus und Israelkritik. Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 79, 2017, S. 7.
37 Hanna van Solinge, Carlo van Praag, De Joden in Nederland anno 2009, Diemen 2010, S. 2ff.
38 European Union Agency for Fundamental Rights, Discrimination and hate crime against Jews in EU Member States. Experiences and perceptions of antisemitism, Wien 2013, S. 11f. Zu den Problemen der Methodologie: Jonathan Boyd, Jewish life in Europe: Impending catastrophe, or imminent renaissance? London (Institute for Jewish Policy Research) Februar 2013, S. 9-11.
39 Sergio DellaPergola, L.D. Staetsky, Perceptions and experiences of antisemitism among Jews in Italy. London (Institute for Jewish Policy Research) Februar 2015, S. 4.
40 Baruch Kimmerling, The Invention and Decline of Israelness. State, Society and the Military, Berkley 2001, S. 94, 113.
41 The EEC’s Venice statement. BBC Summary of World Broadcasts, June 17, 1980. LexisNexis Academic database, aufgerufen 19. Mai 2011.
42 Compares Arafat To Hitler. The Associated Press, August 4, 1982. LexisNexis Academic database, aufgerufen 19. Mai 2011.
43 John J. Mearsheimer, Stephen Walt, The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy, New York 2007, S. 121ff.
44 Shaul Magid, Antisemitism as Colonialism. Meir Kahane’s “Ethics of Violence”, in: Journal of Jewish Ethics, Bd. 1 November 2015, S. 5f, 16.
45 Vgl. Idith Zertal, Akiva Eldar, Die Herren des Landes. Israel und die Siedlerbewegung seit 1967, München 2004, S. 361ff.
46 Yair Sheleg, The battle of the `Jews‘ vs. the `Israelis‘. Haaretz 17. 8. 2005.
47 Vgl. https://m.knesset.gov.il/EN/News/PressReleases/pages/Pr12164_pg.aspx , aufgerufen am 25.März 2020. 48 Ministry of Diaspora Affairs. Report on: Antisemitism in 2016. Overview, Trends and Events. http://www.mda.gov.il/Antisemitism/Pages/Antisemitism.aspx, aufgerufen am 25. März 2020.
49 Toby Greene, Yossi Shain, The Israelization of British Jewry: Balancing between home and homeland, in: The British Journal of Politics and International Relations, Bd 18 Nr.4. 2016, S.848

Die unverträgliche Erinnerung. Holocaust und kollektive Identitäten in Deutschland und Israel

In Publikationen on November 25, 2011 at 4:54 pm

Psychoanalyse – Texte zur Sozialforschung Heft 1/2012

Die beiden deutschen Staaten und Israel sind innerhalb weniger Jahre nach Ende der Vernichtungskampagne gegen die Juden entstanden. Alle drei waren gezwungen, sich dem Ereignis sofort zu stellen. Als Staaten, die wegen der Folgen des Holocaust zum Handeln gezwungen waren, als Gesellschaften, deren Identität oder Selbstbilder durch das beispiellose Ereignis herausgefordert waren, und als Verband von Einzelnen, die mit ihren eigenen, sehr unterschiedlichen Erfahrungen zu Rande kommen mussten. Alle drei schulden ihr Entstehen zumindest teilweise den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland. Bei allen drei war die Auseinandersetzung mit dem Holocaust zum großen Teil unfreiwillig. Alle drei schufen sich Konstruktionen der kollektiven Erinnerung und staatlichen Identität, die der individuellen Erinnerung Gewalt antaten und von vorn herein viel Spannung verursachten. Die Bundesrepublik schuf sich das Konstrukt der Tätergesellschaft, die DDR und Israel eigneten sich, auf unterschiedliche Weise, das Erbe der „Opfer“ an.

In Israel, in Ost- und Westdeutschland entwickelten sich zudem nach 1949 ganz unterschiedliche Geschichtserzählungen über die NS-Vergangenheit. Das Narrativ der DDR betonte die Identität mit den Opfern aus den Reihen der Kommunistischen Partei und den Gewerkschaften, und die Identifizierung mit den Helden des antifaschistischen Widerstands. Von den im Westen als Opfer identifizierten Gruppen – vor  allem den Juden – war praktisch nicht die Rede. Der Blick auf Krieg und NS-Herrschaft war von der „Perspektive der Arbeiterklasse“ geprägt, eine Perspektive, die sich auf die Kader der kommunistischen Partei der Dreißiger Jahre beschränkte. Der Sieg der Roten Armee und die Leiden der sowjetischen Zivilbevölkerung standen im Vordergrund. Dieses Narrativ entschuldete das neue Kollektiv und half dem Einzelnen, der Auseinandersetzung über die persönliche und wie die kollektive Verwicklung in die Judenverfolgung zu vermeiden. Der Holocaust spielte kaum eine Rolle im Prozess der Identitätsstiftungen, die den neuen Staat legitimieren sollten. Die Antifaschismus-Thesen der Zeit waren darauf angelegt, die Unterschiede zur BRD und die moralische Überlegenheit der DDR zu unterstreichen. Ein Gespräch über den Holocaust hätte diese Eindeutigkeiten vermutlich in Frage gestellt. Die Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung wurde in den privaten Bereich verbannt – und möglicherweise auch dort ausgetragen (Wierling 1991, S. 142ff).

In der BRD war die Entwicklung umgekehrt. Hier stilisierte sich, in offiziellen Erklärungen und Bekundungen, das Kollektiv zum Verantwortlichen, zum „Täter“, wie es später hieß. Die Bundesrepublik erklärte sich zum Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches und versuchte, durch diese Übernahme der Konkursmasse – einer sehr großen Schuld, sowohl im materiellen wie im immateriellen Sinne – eine neue Identität zu formen. Dieser Schritt war in vieler Hinsicht ebenso künstlich und von außen aufgezwungen wie die Entwicklung in der DDR. Das Narrativ der „Tätergesellschaft“ wirkte dabei nicht weniger simplifizierend und bemäntelnd als die Erzählung vom antifaschistischen Staat.

Auch in Israel schufen die kollektiven Sinngebungen von Anfang eine Spannung  – gegenüber den Überlebenden, die den Staat als Heimat wählten, aber auch in den entstehenden Selbstbildern und im Narrativ des Staates selbst. Der Staat und die jüdische Gesellschaft des Landes hatten damit begonnen, sich bestimmte Aspekte des Holocaust anzueignen, und andere, unerwünschte, abzuspalten. Die Ursprünge des Staates als Retter des jüdischen Volkes lagen, den eigenen Mythen nach, in der Hinfälligkeit und Unzulänglichkeit der Diaspora-Existenz. Der Holocaust konnte damit sowohl zum Sinnbild nationaler Schwäche und Schmach wie zum Symbol von Gegenwehr und Autarkie werden. Die Erinnerung an den Holocaust wurde zudem mehr und mehr für den Konflikt mit den arabischen Nachbarn mobilisiert. Diese zwei Aspekte spiegelten sich in der Bezeichnung wieder, die 1951 dem Holocaust-Gedenktag gegeben wurde: „Tag der Katastrophe und des Heldentums“.

Im Folgenden will ich versuchen, die Ursprünge der kollektiven Sinngebungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland und Israel kurz zu skizzieren und ihre bemerkenswerte Konvergenz in späteren Jahren zu beschreiben.

In der Bundesrepublik trugen die kollektiven Erinnerungsmaximen viel dazu bei, eine Kluft zwischen öffentlichen und privaten Identitätskonstruktionen zu schaffen und zu erhalten. In einer Umfrage vom Dezember 1951 kamen diese gegenläufigen Haltungen zum Vorschein. Auf die Frage, welche Opfergruppen von der Bundesregierung Hilfe erhalten sollten, wurden von 96% der Befragten Kriegswitwen und -waisen genannt, von 93% die Opfer der Bombardierungen, von 90% die Vertriebenen. Immerhin 73% wollten auch den Familien der Widerständler Hilfe zukommen lassen. Für eine Entschädigung der Juden sprachen sich 68% aus, 21% waren dagegen. Der Bericht fasste die Umfrage-Ergebnisse so zusammen: „Eine Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung lehnt nicht nur eine allgemeine Schuld für die Missetaten des Dritten Reiches ab, sondern auch jegliche Verantwortung der Deutschen, das Unrecht […] zu vergelten.“ Über die 68% der Befragten, die Juden als mögliche Empfänger von Regierungshilfen nannten, stellte der Bericht fest: „Ihre Begleitkommentare deuten allerdings an, dass ihre Zustimmung mehr als widerwillig ist“ (Stern 1991, S. 329f). Die Bevölkerung der Bundesrepublik sah sich ganz offenbar selbst als das hauptsächliche Opfer der NS-Zeit.

 

In der Bundesrepublik war das Thema der „Gewaltverbrechen“, wie es damals hieß,  äußerst unbeliebt. Offizielle Verlautbarungen zur Schuldfrage waren entsprechend vage gehalten, und die Sprache, mit der über Juden und die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in der Öffentlichkeit gesprochen wurde, blieb vorsichtig, defensiv und möglichst abstrakt. Ein Mitarbeiter Konrad Adenauers berichtete später, sein Chef habe „jahrelang nichts zum Thema Juden gesagt, weil er das deutsche Volk in seiner Gesamtheit für die Demokratie gewinnen wollte. Hätte Adenauer schon 1949 gesagt, was wir in der Vergangenheit getan haben, dann wäre doch das deutsche Volk gegen ihn gewesen“ (Stern 1991, S. 308). Die erste offizielle Verlautbarung der Bonner Regierung zum Holocaust war dann auch ein Meisterstück vermeidender Formulierungen. Bundeskanzler Adenauer sprach in der Erklärung zur „Haltung der Bundesrepublik Deutschland zu den Juden und dem Staat Israel“ im Bundestag im September 1951 in keinem Wort direkt von Schuld oder Verantwortung, sondern nur indirekt dadurch, dass er die „Nichtbeteiligung“ der „überwiegenden Mehrheit“ an den Verbrechen erwähnte. Über die „unsagbaren“ Verbrechen selbst, die „im Namen des Deutschen Volkes“ begangen worden waren, sagte er nur, dass „die Mehrheit des deutschen Volkes sich des unermesslichen Leides bewusst ist [ist], das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und den besetzten Gebieten gebracht wurde“ (Grossmann 1967, S.191f).

Die Ambivalenz kam auch in der Vermeidung der Worte „Jude“ oder „Jüdin“ zum Ausdruck. Bei der Feierstunde einer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sprach Bundespräsident Theodor Heuss Ende 1949 von der „suggestiven Wiederholung“, die es unmöglich mache, das Wort „Jude“ auszusprechen. Der adjektivische Gebrauch des Unworts, zum Beispiel in Zusammenhang mit „Mitbürger“, hatte sich inzwischen eingebürgert. (Stern 1991, S. 352, 273).

Die Angst vor der „suggestiven Wiederholung“ nationalsozialistischer Dämonisierungsformeln führte in eine bestimmte Richtung. Die abschätzigen Fantasien, die Juden entmenschlicht und ihren Ausschluss aus der deutschen Gesellschaft ermöglicht hatten, wurden durch neue, positiv besetzte Fantasien ersetzt. So sprach der Heidelberger Dekan und Widerständler Hermann Maas 1952 vom „jüdischen Menschen als Mysterium“, vom gottnahen Volk, das durch das „geheimnisvolle, unauslöschliche Leid“ zu einer „besonderen Geistigkeit“, einem „feinsinnigen Menschentum“ und zu einem „tiefen Empfinden für Gerechtigkeit, Güte, Gastfreundschaft und Milde“ gelangt sei (Stern 1991, S. 294). Zusammen mit der Idee von Juden als wertvollen Kulturträgern formten diese Vorstellungen jene unpersönlichen, realitätsfernen Abstraktionen, denen sich der Philosemitismus der späteren Jahre verpflichtet fühlte. Die Politologin Eleonore Sterling schuf zehn Jahre später für diese Figuration den Ausdruck „philosemitische Idole“, die das Fremdartige und Andere des Juden unterstrichen und die „Judenfreundschaft“ deutlich als bloßes Ritual kennzeichnete (Sterling 1965).

Auch unter Opfergruppen war dieses für alle Seiten beruhigende und identitätsstiftende Gegenbild willkommen. Der in Düsseldorf ansässige Landesrabbiner Robert Geis, dessen Sohn zusammen mit mir ein erzkonservatives, im 16. Jahrhundert gegründetes Gymnasium an der Düsseldorfer Königsallee besuchte, in dem wir die einzigen Juden unter achthundert nichtjüdischen Mitschülern waren, drückte das 1950 bei der Einweihung eines Gedenksteins für Naziopfer auf dem jüdischen Friedhof so aus: „[Hitler] nahm uns sehr ernst, wahrlich blutig ernst, ernster als wir uns selbst nehmen wollten. Er sah in seiner vereinfachenden Manier durch alle unsere Existenzformen hindurch bis zum tiefsten Kern unseres Wesens. Der Jude, das war für ihn der Mensch, aus dem in jedem Augenblick die Visionen der Propheten wieder auferstehen konnten, […] der Mensch, der nicht müde wurde, an eine Welt der Gerechtigkeit und des Völkerfriedens zu glauben. “ (Schoeps 1960, S. 319).

Der Sozialdemokrat Ludwig Rosenberg, der spätere Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, von den Nazis als Gewerkschaftler und Jude verfolgt, schrieb 1957 ähnliches: „Es war das Schicksal der Juden, stellvertretend für alles Menschliche, die besondere Zielscheibe des Hasses der Unmenschen zu werden. In den brennenden Synagogen traf man nicht allein die Bethäuser einer Glaubensgemeinschaft, sondern den Glauben an ewige Werte schlechthin.“ (Rosenberg 1957, S. 87). Diese Wunschvorstellungen von Juden als „Staatsfeinde des Dritten Reiches“ und als Vertreter der „ewigen Werte“ hatten wenig mit den Überlebenden gemein, unter denen ich aufwuchs.

In Westdeutschland dauerte es bis weit in die Sechziger Jahr hinein, bis die normierte Sprache hinsichtlich des Holocausts Gestalt annahm. In den ersten Jahrzehnten spiegelte sich in der Presse, aber auch in politischen Reden, weiter die große Ambivalenz gegenüber Fragen von Schuld und Verantwortung wieder. Das galt besonders gegenüber der „Wiedergutmachung“. Die Wiedergutmachungsdebatte ist eigentlich das letzte Mal, dass in den Mainstream-Medien Argumente und Sentimente geäußert wurden, die stark vom offiziellen Sprachgebrauch abwichen. 1958 schickte ein in Deutschland stationierter Beamter des Jüdischen Weltkongresses, Kurt Grossmann, einen Fragebogen an 50 deutsche Zeitungsredaktionen, um sie über die redaktionelle Praxis hinsichtlich der Wiedergutmachungsdebatte zu befragen. Die Seine Umfrage belegte, wie weit die Gabelung von öffentlichem und privatem Diskurs gediehen – und akzeptiert – war. Die Redaktionen erkannten eine weit verbreitete Abwehrhaltung in der Bevölkerung, aber räumten ihr im öffentlichen Diskurs keinen Raum mehr ein. Mit dem Ende der „Wiedergutmachungsdebatte“ Anfang der Sechziger Jahre wuchs die Unterstützung für das Konstrukt der kollektiven Verantwortung in Politik und Medien stark an, während unter der Bevölkerung weiter ein großer, meist unsichtbarer Rückhalt für das „Ewig Gestrige“ vermutet wurde.

 

Mit der Entführung von Adolf Eichmann und dem Gerichtsverfahren, dem sich der Technokrat der „Endlösung“ in Jerusalem 1961 stellen musste, begann dann jener bemerkenswerte Prozess gegenseitiger Identitätsverstärkungen, der die Bundesrepublik und Israel mit einander verband und die Eliten beider Länder einander näher brachte. Auch die staatlichen Narrative begannen sich zu ergänzen und gegenseitig zu verifizieren – das israelische vom Holocaust als Sinnbild der jüdischen Geschichte, aus dessen Griff der Zionismus die Juden zu befreien vorgibt; und der besonderen Rolle, die dem Staat aus dem Holocaust erwachsen war; und das westdeutsche Narrativ von der „Tätergesellschaft“, in der die kollektive Verantwortung und das Bekenntnis dazu im Vordergrund standen, die Frage der Verantwortlichkeit oder Mitverantwortlichkeit Einzelner und der Gesellschaft aber in den Hintergrund trat.

Die Entführung Eichmanns und sein Prozess waren von der Regierung Ben Gurion von Anfang an als geschichtspädagogisches Ereignis angelegt, gegenüber einem inländischen Publikum ebenso wie den Öffentlichkeiten im Ausland. Hunderte Journalisten strömten nach Jerusalem und beschrieben das Land in dem Zusammenhang, in dem die Regierung es präsentieren wollte: als Zufluchtstätte der Holocaust-Überlebenden und als ein jüdisches Gemeinwesen neuen Typs, wehrbar, selbstbewusst und autark, in dem die Juden ihr Schicksal zum ersten Mal in die eigene Hand nahmen. In der Bundesrepublik wurden Regierung und Parteien durch die Entführung anfangs vor ein Dilemma gestellt. Warum hatten deutsche Instanzen bisher so wenige NS-Täter verfolgt? Die israelische Tat konfrontierte die Öffentlichkeit mit der Untätigkeit der deutschen Justiz und stellte die äußerst ambivalente Haltung der Bevölkerung selbst heraus. Die Journalistin Inge Deutschkron, die für israelische Zeitungen aus der Bundesrepublik berichtete, vernahm im Mai 1960 „überraschtes Schweigen“. (Deutschkron 1970, S. 139).

In Israel war sich die Regierung der Gefahren wohl bewusst, die von der Inszenierung des Eichmann-Prozesses für das deutsche Geschichtsnarrativ ausgingen. Aus den Anfang 2011 veröffentlichten Regierungsakten des Jahres 1960 lässt sich gut erkennen, in welchen Ausmaß Jerusalem das öffentliche Bild des Prozesses zu formen und die kollektive Identität des Landes zu beeinflussen suchte, auch in Bezug auf die besondere Empfindsamkeit der Bundesrepublik. Ben Gurion selbst half mit, das Eröffnungsplädoyer des Staatsanwaltes Gideon Hausner zu formulieren. „Sagen sie nicht ‚Deutschland‘. Sagen sie nur ‚Nazi-Deutschland'“. (Segev 2011).

In deutschen Zeitungen wurden die Umstände des Gerichtsverfahrens in einen Zusammenhang gesetzt, der einen anderen wichtigen Aspekt des Prozesses der gemeinsamen Identitätsstiftungen berührte. Entführung und Gerichtsverfahren seien Ausdruck des besonderen Charakters des Holocaust, „eines unvergleichbaren Ausnahmefalles“ der Geschichte (Deutschkron 1979, S. 144). Die „Unvergleichbarkeit“ des Holocaust legitimiere die Ausnahmehandlungen des Staates, ja lege Israel geradezu eine Pflicht dazu auf, argumentierte auch Ben Gurion in einem offenen Brief an Nachum Goldmann, der zu den Befürwortern eines internationalen Gerichtsverfahrens gehörte (Segev 2000, S. 329). Während sich einige Intellektuelle in Israel und in westlichen Ländern gegen die „Selbstjustiz der Opfer“ (Martin Buber) aussprachen, wertete die überwiegende Meinung in der Bundesrepublik, wie in anderen westlichen Ländern, die Eichmann-Episode als Zeichen des israelischen Exzeptionalismus, der sich aus dem Exzeptionalismus der jüdischen Geschichte und des Holocaust ableitete und dem jüdischen Staat und Juden bestimmte Privilegien einräumte. An einer Mystifizierung des Holocaust war allen gelegen. In der Bundesrepublik kam der Vorstellung von der „Unvergleichbarkeit“ vor allem eine exkulpierende Wirkung zu. Die Vorstellung unterstrich noch einmal, dass Juden anders waren und dass der Holocaust irgendwie mit dieser Andersartigkeit verbunden sein musste.

Alle großen deutschen Zeitungen, Rundfunksender und das Erste Deutsche Fernsehen schickten zu Prozessbeginn Vertreter nach Israel. Ihre Berichte halfen jenes Narrativ zu verfestigen, das den Nahostkonflikt aus dem Kontext eines kolonialen Konfliktes über Territorium und Selbstbestimmung in den europäischen Geschichtsraum von Judenhass und Judenverfolgung verpflanzte. Das war eine der Wirkungen, die sich die Regierung Ben Gurion erhofft hatte. Antisemitismus und Holocaust schienen die Schaffung Israels erzwungen zu haben und die Folgen zu rechtfertigen. Diese Mythen hatten in Deutschland noch eine besondere Bedeutung. Sie stellten in gewisser Weise eine Tröstung dar. Die Opfer des Holocaust schienen nicht umsonst gestorben sein, denn ihr Martyrium hatte zur Errichtung des Staates geführt.

Gleichzeitig wurde die deutsche Öffentlichkeit mit Details des Massenmordes konfrontiert, die bisher in den Medien nicht benannt worden waren. Während der Beweisaufnahme, die von April bis August andauerte, berichtete die ARD regelmäßig nach den Abendnachrichten in einer Sondersendung unter dem Titel „Eine Epoche vor Gericht“ über den Prozess. Der Holocaust wurde auf diese Weise zum ersten Mal in der Sprache und aus dem Blickwinkel der Opfer einem breiten deutschen Publikum nahe gebracht.

Das deutsche Publikum reagierte, wie die Journalistin Inge Deutschkron sich erinnert, mit einem „Schock“. „Verzweiflung und Scham [waren] in den ersten Wochen des Eichmann-Prozesses weit verbreitet“. Auch wenn ein großer Teil der Öffentlichkeit „nicht ungerührt“ blieb, fühlten sich laut einer Umfrage fast 90 Prozent nicht „mitschuldig“. Deutschkron (1970, S. 155-61) erkannte trotz, oder gerade wegen, der pädagogischen Inszenierung des Eichmann-Prozesses weiterhin eine „weit verbreitete anti-jüdische Einstellung in der deutschen Bevölkerung“.

Die israelische Presse, die über die Resonanz des Prozesses in den deutschen Medien genauestens Buch führte, kam zum gegenteiligen Schluss. Die deutsche Öffentlichkeit habe nicht nur viel Sympathie für Israel, sondern auch Schuldbewusstsein und Reue gezeigt. Dank der israelischen Berichterstattung über die Reaktionen in der Bundesrepublik schwächten sich die anti-deutschen Gefühle in Israel, trotz  der „Lektionen“ des Eichmann-Prozesses, gerade ab (Segev 2000, S. 366).

Auch in der Bundesrepublik wurde der Prozess als pädagogisches Ereignis in Szene gesetzt, allerdings nicht von staatlicher Seite, sondern von den Medien, die in einer wohl dosierten Präsentation der „Vergangenheit“ eine neue, identitätsstiftende Aufgabe erblickten, für die Eliten, die sie vermittelten, und für jene breite Schichten der bundesrepublikanischen Bevölkerung, die weiterhin unter dem Verdacht des „kollektiven Versagens“ standen. Karl Holzamer, erster Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), das im April 1963 zu senden begonnen hatte, schrieb über diesen Aspekt der „Tätergesellschaft“ 1964: Das Versagen der Deutschen während des Nationalsozialismus habe aus „Indolenz und allgemeiner Gleichgültigkeit“ bestanden. Diese „beklagenswerte politische Indolenz des deutschen Volkes“ bestehe fort. „Erst wenn diese überwunden werden kann, dürfte das eintreten, was wir Bewältigung der Vergangenheit nennen. Das Fernsehen wird sich stets seiner Verantwortung bewusst sein, an einem solchen Prozess mitwirken zu können.“ (Holzamer 1989, S. 4f).

Mitte de Sechziger Jahre begannen in der Bundesrepublik konkretere Fragen zu Schuld und Verantwortung öffentlich diskutiert zu werden. Gleichzeitig kamen die NS-Strafprozesse in Gang, und es entstand eine Welle von geschichtswissenschaftlichen Forschungen aus der Feder westdeutscher Historiker, die ihren amerikanischen, britischen, französischen und israelischen Kollegen bislang den Vortritt gelassen hatten. Kunst und Kultur nahmen sich des Themas stärker an. Auch die „Hinwendung“ zu Juden und Israel, die bis Anfang der Sechziger Jahre nur von wenigen Christen betrieben wurde, verwandelte sich in ein breiteres Phänomen, das im Juni 1967 in großen Solidaritätskundgebungen mit dem kriegführenden Israel in allen deutschen Städten mündete. In vieler Hinsicht machte dieses Aufbrechen des bis dahin gepflegten Umgangs mit der Vergangenheit die bis heute gültige Normierung des Holocaust-Diskurses erst notwendig. Die ständige Betonung des Narrativs der kollektiven Verantwortung schuf eine Spannung zur privaten Erinnerung, und es schuf eine soziale Spannung zwischen den Eliten, die sich als Mahner betätigten, und einer Bevölkerung, die weiterhin als mahnungsbedürftig hingestellt wurde.

Diese beiden Aspekte des Konstrukts der „Tätergesellschaft“ sorgten für einen lang anhaltenden Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Identitätsbedürfnissen. Für die Bundesrepublik und ihre Eliten war der fein kalibrierte und dosierte Erinnerungsdiskurs Teil des politischen Selbstverständnisses geworden. Im Privaten, wo Fragen der persönlichen oder familiären Schuld und Verantwortung im Vordergrund standen, wurde der Diskurs als ein kollektives Stigma erfahren, das als unverdient galt. Während im öffentlichen Bereich die Vorstellung von der kollektiven Verantwortung vorherrschte, dominierten im privaten – und dominieren immer noch – die Erzählungen von der persönlichen Schuldlosigkeit und von der eigenen Familie als Opfer, als Opfer des Nationalsozialismus wie der Kriegsgewalt. Die Verbrechen an den Juden hatten in diesem Bezirk nicht stattgefunden und waren hier nicht wahrgenommen worden. Diese Unverträglichkeit zwischen familiärer Erinnerung und offiziellem Erinnerungsdiskurs ist ein Phänomen, das sich in die dritte Nachkriegsgeneration vererbt hat, wie eine Reihe von Studien belegt (Brendler 1997, Welzer 2002).

Es war nicht das Konstrukt der „Tätergesellschaft“ allein, das zu einer anhaltenden Abwehr von eigener oder familiärer Verstrickung bei der Verfolgung und Ermordung von Juden führte. Aber die pauschalisierende und simplifizierende Vorstellung von der kollektiven Verantwortlichkeit hat viel dazu beigetragen, Fragen nach der individuellen und konkreten zu vermeiden und die der gesellschaftlichen zu bagatellisieren. Der pauschale Schuldvorwurf konnte ebenso leicht pauschal verworfen werden, als Angriff auf das Selbstbild des Individuums wie der Nation.

Die Vorstellung von kollektiver Verantwortlichkeit führte auch dazu, dass eine ebenso pauschalisierende und simplifizierende Grenze gezogen wurde zwischen denen, die sich als unschuldig betrachteten und jenen, die schuldig geachtet wurden. Weil Umfang und Methoden der Vernichtungskampagne und ihr systematischer, gigantomanischer Charakter bis zum Schluss das Geheimnis von wenigen blieb, ließ sich hier leicht eine Grenze ziehen. Sie lautete: „Das haben wir nicht gewusst“. Alles das, was sich jenseits dieser Grenze abspielte – und das war sehr viel – konnte im Nachhinein als Nichtwissen und als subjektive Unbeteiligung und Schuldlosigkeit gelten.

Der unverträgliche Nexus von Selbstbild, nationaler Identität und Holocaust wurde erst durch eine Entwicklung erträglicher gemacht, die von den USA ausging. Dort war im Kontext des Vietnam-Krieges die Vorstellung vom Holocaust als dem Bösen in den Vordergrund getreten, vom Bösen, gegen das sich der Krieg der USA gegen das nationalsozialistische Deutschland gerichtet hatte und gegen das die USA sich auch in Zukunft wehren musste. Diese Verbindung von Holocaust und amerikanischen Idealismus brachte auch für das Bild des ehemaligen Kriegsgegners eine Veränderung. Das Klischee des Hässlichen Deutschen, des Täters, trat in den Hintergrund. Im Vordergrund stand nun die Tat. Die amerikanische TV-Serie „Holocaust“, die 1979 auch in der Bundesrepublik gezeigt wurde, übersetze diesen Perspektive-Wechsel in die universelle Sprache der amerikanischen Massenkultur: eine Familie, also wir alle, war das Opfer, die Täter waren nicht nur Deutsche, und auch die Helden wurden nicht allein von Amerikaner vertreten. Diese andere, ungewohnte Erzählweise durchbrach im Empfinden der Zeitgenossen die Sperre der Opfer-Täter-Konstruktion und ließ es zu, dass deutsche Zuschauer sich mit den Opfern identifizierten. Die TV-Serie war, wie der zuständige Fernsehredakteur berichtete, ein „sozialpsychologisches Ereignis“ (Märthesheimer 1979, S. 15).

Wenn wir die Identitätskonstruktion der „Tätergesellschaft“ auch als Manifestation der Anpassung und des Selbstschutzes gegenüber dem Stigma des Deutschseins sehen, wird deutlich, welche Folgen das allmähliche Verblassen dieses Stigmas hat und haben wird. Aber die Veränderung des Holocaust in eine universelle Metapher des Bösen hat auch Folgen für das Erinnern. Nicht mehr die Täter stehen im Mittelpunkt, sonder die Tat und die Opfer. Zu einem gewissen Grad hat diese Entwicklung der deutschen Gesellschaft schon jetzt die Möglichkeit entzogen, weiter auf eigene Bedürfnisse abgestimmte Erinnerungsstrategien zu verfolgen.

Die Bedeutungen des Holocaust im Selbstverständnis der jüdischen Gesellschaft Israels, im Wehrgedanken des Staates und nicht zuletzt in den Sinngebungen, die den Konflikt mit der arabischen Umwelt und den Palästinensern begleiten, haben sich in den 60 Jahren der staatlichen Existenz stark verändert. Noch vor der Staatsgründung hatte zwischen 1945 und 1949 die Aufnahme von Überlebenden der Lager eine prominente Rolle im diplomatischen Ringen um Souveränität und in der Darstellung zionistischer Ziele im Ausland gespielt. Auch bei der Vertreibung arabischer Bewohner im Süden des Landes berief sich der israelische Kommandeur 1948/49 auf die Pflicht des Staates, für die Überlebenden des Holocaust Platz zu schaffen (Brecher 2005, S. 327). Danach verschwand das Thema im öffentlichen Diskurs praktisch über Nacht. 1951 wurde ein Gedenktag eingeführt, der 27 Iyar, der zwischen dem Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto und dem israelischen Unabhängigkeitstag gelegt wurde, um eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen herzustellen. 1953 regelte Israel die Holocaust-Erinnerung per Gesetz und wurde mit dem „Märtyrer- und Helden-Gedenkgesetz“ zum ersten Staat, der dem Holocaust explizit eine bestimmte Bedeutung zuwies. Erinnert sollte werden „die Katastrophe, die die Nazi und ihre Kollaborateure über das jüdische Volk gebracht hatten und die Akte des Heldentums und der Revolte“ (Knesseth 1959, S. 120f).

Trotzdem war es deutlich, dass der jüdische Staat sich mit der Erinnerung an die Judenverfolgung schwer tat. Der Holocaust und die Überlebenden, die Israel als neue Heimat gewählt hatten, forderten die sich entwickelnden kollektiven Identitäten auf besondere Weise heraus. Die Katastrophe (Shoa) stand in Israel sowohl für nationale Schwäche und die Dekadenz der Galut, von denen sich der Staat zu unterscheiden suchte, wie für die Tugenden der Selbstwehr und Selbstbestimmung, die von der Gesellschaft umarmt wurden. Die prononciert politische Rolle des Holocaust, die das politische und militärische Handeln des Staates umfassend informieren und legitimierten musste, begann erst Anfang der Sechziger Jahre Gestalt anzunehmen – mit der Inszenierung des Eichmann-Prozesses und mit der Darstellung des Juni-Krieges 1967 als „Antithese zur Katastrophe der Galut“ (Kimmerling 2001, S. 94, 113).

In den Anfangsjahren konnte man auch in der jüdischen Gesellschaft Israels eine Zweitteilung feststellen. Die Überlebenden der Lager, die sich in Israel einfanden, stießen unerwartet auf Ablehnung. Ihre besonderen Bedürfnisse, von den finanziellen bis zu den emotionellen, wurden von der Umgebung nur widerwillig beachtet oder ignoriert. Das Narrativ des Leidens war nicht willkommen. „Diese Leute sind hässlich, arm, moralisch fragwürdig und nur schwer zu lieben“, erklärte die Schriftstellerin Leah Goldberg. Sie entsprachen nicht dem Selbstbild der ersten Israelis, den „Göttern“, wie die Schriftstellerin Jehudit Hendel später selbstkritisch feststellte. „Man konnte fast von zwei verschiedenen Rassen sprechen“, sagte Hendel, von denen, die im Land geboren waren und sich für Götter hielten, und von einer „unterlegenen Rasse“, an der etwas nicht stimmte (Segev 2000, S. 179). Die kleine israelische Gesellschaft der Anfangsjahre war ganz mit sich selbst beschäftigt. Dazu passte der Mythos der Überlegenheit gegenüber dem Diaspora-Judentum. In den Augen des israelischen Gesellschaft der Fünfziger Jahre waren die europäischen Juden nicht willkürlich und unfreiwillig zum Opfer einer Wahnidee geworden, sondern hatten sich zum Opfer machen lassen und waren sogar in gewisser Weise zum Opfer vorbestimmt. Der israelische Politiker Yosef Burg drückte diesen Zusammenhang 1968 auf sehr drastische Weise aus: die Diaspora musste erst untergehen, um den Weg für die nationale Renaissance frei zu machen. „[H]ier im Staat Israel wurde ein neuer Stamm geboren, während die Mutter im europäischen Holocaust starb.“ (Burg 1971, S. 15).

Das europäische Territorium von Verfolgung und Todeslagern wirkte wie der Schauplatz eines nationalen Verhängnisses, wie das Schlachtfeld eines verlorenen Krieges. Die negativen Aspekte der Geschichte des Holocaust, die den positiven Selbstbildern des jungen Staates Abbruch tun konnten, mussten abgespalten werden. Der Holocaust konnte dadurch sowohl zum Vorbild verachtungswürdiger wie nachahmenswerter jüdischer Eigenschaften werden. Diese Teilung des Holocaust in einen idealisierten und einen unerwünschten Aspekt, in akzeptables und inakzeptables Verhalten von Opfern, war für viele Einwanderer nach 1948 schwer zu akzeptieren. Diese Vorstellung der Zeit, dass sich das Gros der Juden während des Holocaust irgendwie schmählich und schmachvoll verhalten hatte, weil es sich zu Opfern machen ließ und nicht mit der Waffe Widerstand geleistet hatte, kam einer Beleidigung der Opfer gleich.

Die Teilung der Holocaust-Erinnerung ist auch in das Design des Jerusalemer Gedenkzentrums Yad Vashem eingegangen. Dort bildet der „Platz des Warschauer Ghettos“ das zentrale Forum, auf dem die jährlichen Aufmärsche zum „Holocaust und Heldentum“-Gedenktag stattfinden. Der Platz ist von einer symbolischen Ghettomauer gesäumt, an denen zwei sehr unterschiedliche Skulpturen angebracht sind. Bei der einen handelte es sich um eine gigantische, den Platz dominierende Figurengruppe, die den Titel „Der Aufstand im Warschauer Ghetto“ trägt und die „bewaffnete Männer, Frauen und Kinder im heldenhaften Kampf vor dem Hintergrund des brennenden Ghettos“ zeigt. Die zweite, wesentlich bescheidenere Skulptur ist ein kleines, schwarzes Relief am Rande des Platzes. Es trägt den Titel „Der letzte Marsch“ und stellt den Weg der Juden in die Vernichtungslager dar. Die beiden Skulpturen geben gleichsam die Proportionen wieder, in denen die beiden Elemente von „Holocaust und Heldentum“ erscheinen sollten. Auch im Schulunterricht und in den Massenmedien stand in den ersten 20 Jahren die Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto und an den Widerstand im Mittelpunkt. Während der Gedenktage wurden ehemalige „Ghettokämpfer“ im Radio interviewt oder hielten Ansprachen. Andere Überlebende kamen nicht zu Wort. Sie sprachen nicht; für sie wurde gesprochen.

In der Öffentlichkeit blieb die Erinnerung an den Holocaust – fast schamvoll – auf die jährlichen Gedenkfeiern und Rituale beschränkt. In der Auseinandersetzung zwischen den politischen Parteien war das Thema tabu. Nur von einer Partei im rechten Teil des Meinungsspektrums wurde der Holocaust für das politische Tagesgeschäft instrumentalisiert – von der Herut, die später zusammen mit den Liberalen in der Likud-Partei aufging. Eine Wende in den Bedeutungen des Holocaust in den Identitätskonstruktionen des Landes brachten zwei Ereignisse mit sich: der Krieg vom Oktober 1973 und der Machtwechsel von der Arbeitspartei zur Likud im Frühjahr 1977.

Als Israel 1967 in sechs Tagen den Rest Palästinas erobert und die Armeen der arabischen Nachbarstaaten geschlagen hatte, schienen sich die Allmachtsfantasien bewahrheitet zu haben, die sich hinter der Vorstellung von der Erlösung der Galut durch den Zionismus verbargen. Der ägyptische Überraschungsangriff am Jom Kippur 1973 brachte diese Fantasien ins Wanken. Die israelische Bevölkerung fühlte sich gefährdeter denn je. Oberst Ehud Praver, einer der führenden Offiziere des Erziehungskorps, erinnerte sich 1990 in einem Interview mit Tom Segev (2000, S. 394f) an die Folgen: „Das ganze monolithische Gefüge, das wir in der Schule mitbekommen hatten – Antisemitismus führt zum Zionismus, der Zionismus zu Israel, und die Existenz Israels bringt uns Sicherheit – war brüchig geworden. Es gab Momente, wo das Ganze einzustürzen drohte. “

Bis in die 70er Jahre hinein hatten junge Israelis in der Schule und während der Grundausbildung in der Armee wenig wirkliches Wissen über den Holocaust erworben. Hinter „Holocaust und Heldentum“ verbargen sich schematische, stark ideologisch geprägte Vorstellungen über tapferes und feiges Verhalten während der Verfolgung. Die Erinnerung der Überlebenden blieb auf das private Umfeld beschränkt. Praver sagte dazu: „In der Schule hatten wir uns mit dem Widerstand identifiziert, mit den Partisanen und Gettokämpfern. Wir waren die Widerstandskämpfer und die anderen, das waren die Schafe, die sich zur Schlachtbank führen ließen. Jetzt entdeckten wir plötzlich, dass das eine große Lüge war, eine Lüge, die vom Jom-Kippur-Krieg entlarvt wurde.“

Mit der so genannten politischen „Revolution“ von 1977 kam zum ersten Mal die Likud-Partei unter Menachem Begin an die Macht. Damit begann sich der Holocaust-Diskurs in die Richtung zu entwickeln, die wir heute kennen. Politiker sprachen nun fast täglich von den Lehren oder Maximen, die aus der Judenverfolgung zu ziehen seien. Der Holocaust wurde zur allgegenwärtigen Metapher und zum wichtigsten Legitimationsmittel öffentlichen Handelns, gegenüber den arabischen Ländern, den Palästinensern und im Verhältnis zu Europa.

Die Folgen des Oktober-Krieg und der politischen Wende von 1977 für die nationalen Erinnerungsmaximen konnte ich selbst in der ersten Reihe miterleben, als ich 1978 als Historiker in die israelische Armee eintrat und mit der Einführung der Materie „Holocaust-und-Heldentum“ in den Schulungsplan für Rekruten und Offiziersanwärter beauftragt wurde. Die militärhistorische Abteilung „Kampftraditionen“ hatte bis dahin Material zur Geschichte der israelischen Streitkräfte herausgegeben, in denen die Operationen von 1948, 1967 und 1973 behandelt wurden und die Aktivitäten der jüdische Milizen vor 1948. Jetzt sollten die Aufstände in den Ghettos und die Waffentaten jüdischer Partisanen folgen. Diese Erweiterung der Perspektive auf den europäischen Geschichtsraum und die identitäre Verbindung, die zwischen polnisch-jüdischen Zivilisten des Jahres 1943 und israelischen Gefreiten des Jahres 1978 hergestellt werden sollte, hatte ein Ziel: eine Analogie zwischen den Aktionen der israelischen Armee und dem verzweifelten Überlebenskampf von Opfern der Vernichtungsmaschinerie zu schaffen. Dieser Versuch, die kollektiven Sinngebungsprozesse auf so simplistische Manier zu beeinflussen, wurde von mir, und vielen anderen, anfangs nicht ernst genommen (Brecher 2005, S. 227ff). Aber der Versuch war erfolgreich, und die Resultate stellten sich schon fünfzehn Jahre später als kaum noch reversibel heraus. Die Judenverfolgung als eine unbequeme und äußerst ambivalente Erinnerung wurde in ein umfassendes Holocaust-Ethos verwandelt, das die Wehrbereitschaft der Bevölkerung und die Politik des Staates festigen sollte.

Als europäische Staaten im Juni 1980 erstmals zu Friedensverhandlungen mit der PLO aufriefen, zu der bis dahin Kontakte tabu waren, berief sich Ministerpräsident Begin in seiner Ablehnung auf den Holocaust: „Wir werden aufgefordert, die Arabische SS, auch PLO genannt, in den Friedensprozess mit einzubeziehen. Diese Mörderbande hat am Vorabend des Gipfels von Venedig ihre Absicht kundgetan, die „Zionistische Einheit“, wie sie es nennen, politisch, ökonomisch, militärisch, kulturell und ideologisch zu beseitigen. Seit „Mein Kampf“ hat niemand mehr so deutlich seine Absicht erklärt, die jüdische Nation vernichten zu wollen.“ (BBC 1980).

In einer Stellungnahme während der Invasion des Libanon 1982 ging Begin in den identitären Konstruktionen noch einen Schritt weite: „Ich fühle mich wie ein Regierungschef, der seine tapfere Armee nach Berlin führt, wo sich Hitler und seine Henker in einem Bunker tief unter der Erde eingegraben haben. Meine Generation […] hat am Altar Gottes geschworen, dass der, der seine Absicht verkündet, den jüdischen Staat oder das jüdische Volk zu vernichten, sein Schicksal besiegelt hat. Das, was einmal von Berlin ausging, Berlin ohne Anführungsstriche, wird nie wieder geschehen“ (Associated Press 1982).

Dieser neue Holocaust-Diskurs begleitete und beschleunigte den Prozess der Umdeutungen, die den nahöstlichen Ursprung des Konflikts mit den Palästinensern leugneten und ihm dem europäischen Geschichtsraum von 1933-1945 zuordneten. Die neuen Sinngebungen wurden überraschend schnell Bestandteil der kollektiven Selbstbilder. Für den jüdischen Bevölkerungsteil bedeuteten sie nichts weniger als eine neue, umfassende Interpretation des Konflikts und seiner Dynamik, die der arabischen-palästinensischen Seite die entscheidende Verantwortung für den Grundkonflikt zuwies. Wenn die Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat auf antisemitische Einstellungen und genozidale Absichten bei den arabischen Nachbarn beruhte, war die jüdische Bevölkerung aus ihrer Verantwortung für die Entstehung – und die Lösung – des Konflikts entlassen.

1993 brach ein kurzes Interregnum der Arbeitspartei an, eine Zeit, in die die Initiative zum Friedensprozess von Oslo fällt. Die neue Regierung versuchte den Ort des Holocaust in der politischen Kultur wieder zu verschieben. Die arabischen Nachbarn und die PLO, wollte man mit ihnen Frieden schließen, durften nicht länger als das absolut Böse hingestellt werden, mit dem eine Einigung unmöglich war. Die Lehren des Holocaust nahmen eine allgemeinere Form an, auch im Rekruten-Unterricht. In diese Zeit fällt auch der Beginn eines ganz außergewöhnlichen Prozesses – die Aneignung von Auschwitz als Erinnerungsort des Staates Israel.

Der Prozess der Aneignung begann mit der Öffnung der Gedenkstätte für israelische Besucher im Jahre 1988. Bis dahin hatte sich Israel an anderen Orten als der Staat präsentiert, der durch den Holocaust historisch legitimiert und zum Handeln beauftragt war. Dazu diente meist die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem. Bei den jährlichen Feierlichkeiten des Jom Hashoa traten hier die politische Elite, Überlebende, Widerstandskämpfer und Soldaten der israelischen Armee gemeinsam als Akteure auf. Mit Auschwitz stand jetzt ein weitaus mächtigeres Symbol zur Verfügung.

Auschwitz begann für Israel, viertausend Kilometer entfernt, die Funktion einer nationalen Gedenkstätte anzunehmen, eines heiligen Ortes, an dem bedeutende zivile und militärische Zeremonien abgehalten werden konnten. Der größte jüdische Friedhof der Welt, wie israelische Politiker Auschwitz zu nennen begannen, wurde für Israel zu einer symbolischen Grabstätte, zu einem Ehrenmal, an dem eine Nation ihrer Gefallenen gedenkt, ihrer Geschichte Sinn gibt und an der sie der Zukunft Richtung verleiht.

1992 kam unter Leitung des damaligen Stabschefs und späteren Ministerpräsidenten Ehud Barak die erste Armeedelegation nach Auschwitz. Barak sagte anlässlich dieser ersten militärischen Zeremonie: „Vor 47 Jahren erlosch das Feuer in den Krematorien. Drei Jahre später entstand der Staat Israel. Eine direkte Linie führt von diesem Tal des Todes zu der Vision des Staates. Schon viele wollten uns auslöschen. Wir haben sie alle überlebt. Von den vielen Lehren, die sich aus diesem Ort, Auschwitz, ergeben, sind zwei am wichtigsten: Nicht eine einzige Regierung auf dieser Erde hatte damals den Willen oder die Fähigkeit, die Opfer zu schützen, ihnen Hilfe und Zuflucht zu bieten. Und: Wir müssen stark sein. Sehr stark. Die israelische Armee steht für diesen Willen und unsere Entschlossenheit: Das, was hier geschehen ist, wird nie wieder geschehen“ (Brecher 2005, S. 287).

Das Auftreten des höchsten israelischen Militärs in Auschwitz und die direkte Verknüpfung der Katastrophe mit den Aufgaben von Armee und Staat fand in der Öffentlichkeit großen Anklang. Von nun ab stattete jeder neue Stabschef Auschwitz einen offiziellen Besuch ab, um sich dort vor den Toten der Nation zu verneigen.

Nach dem Scheitern der Oslo-Verhandlungen, dem Ausbruch der zweiten Intifada und dem Wahlsieg der Likud unter Ariel Sharon wurde das Holocaust-Ethos der Achtziger Jahre neu belebt. Als die israelische Luftwaffe 2002 eine Einladung zu Feierlichkeiten anlässlich des 85. Jahrestages der Gründung der polnischen Luftwaffe erhielt, wurde der Plan gefasst, eine israelischen Staffel von F-15-Kampfjets nach Auschwitz zu entsenden. Diese Umformung der Teilnahme Israels an einer herkömmlichen militärischen Luftshow zum nationalen Ritual ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Aneignung der Holocaust-Erinnerung durch Israel. Für den Besuch wurde ein neuer Akt in den Symbolhandlungen der israelischen Gedenkkultur geschaffen: der zeremonielle Überflug über eine Gedenkstätte. Damit knüpften die Schöpfer an die militärischen Zeremonien der Siegers des Zweiten Weltkriegs an, an die Luftparaden über dem Arc de Triomphe in Paris, dem Cenotaph in London und dem Roten Platz in Moskau, und festigten den Status von Auschwitz als nationales Monument des jüdischen Staates. Während des Überflugs Anfang September 2003 wurden die Namen derer verlesen, die an diesem Tag vor 60 Jahren in Auschwitz umgebracht worden waren. Am Boden, auf den Gleisen, die durch das Tor der Hauptwache zu den Vernichtungsanlagen führen, standen 200 israelische Soldaten stramm, während die Kampfjets im Tiefflug über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers flogen. Der von der Armee produzierte Film über das Ereignis, „Wir sind aus der Asche auferstanden“, wird inzwischen unter dem Titel „Adler über Auschwitz“ als Video verkauft und bei Spendenaktionen zu Gunsten Israels im Ausland eingesetzt. Einer der Piloten sagt darin: “ Wir, Piloten der israelischen Luftwaffe, die wir auferstanden sind aus der Asche der Millionen, bezeugen unsere Ehrfurcht vor dem Heldentum der Gefallenen und schwören, das jüdische Volk und sein Land Israel zu verteidigen.“

Literatur

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